verwundet (German Edition)
sie zu. Sie wollte ihren Kopf weg drehen, aber sie fixierten sie und drückten das stinkende Monstrum auf ihr Gesicht. Sie wollte schreien, bekam aber keinen Ton heraus. In ihrer Brust verkrampfte sich alles. Sie bekam keine Luft, hatte das Gefühl, zu ersticken. Alles in ihr zog sich zusammen, wehrte sich. Sie versuchte, nicht einzuatmen, doch das hielt sie nicht lange durch und irgendwie gelangte das Gas trotzdem in ihre Lungen. Sie würde verlieren. Ihre Sinne verwirrten sich, die Welt begann, sich aufzulösen. Sie hatte keine Kraft mehr, zu kämpfen. Sie gewannen, und sie würde sterben.
Frau Kesten wurde durch das Schreien von Lisa wach. Das Mädchen weinte und schlug um sich. Sie machte Licht und trat an das Bett. Lisa schlief aber fest. Also träumte sie augenscheinlich, so wie auch die letzten Nächte. Sie wagte es aber nicht, sie zu wecken, sondern klingelte nach der Schwester. Sven, der Nachtpfleger kam.
Lisa warf sich hin und her, sie weinte und wimmerte.
„Nicht, nein, nein!“
Auch Sven war unsicher. Er überlegte, holte dann einen Arzt. Es war Dr. Merseburg, der Nachtdienst hatte. Er fasste Lisas Hände, die um sich schlug. Er versuchte, sie zu bändigen, aber Lisa rastete völlig aus schlug panisch um sich, sie schien nach Luft zu ringen. Dr. Merseburg gelang es, Lisa zu wecken. Apathisch sah sie ihn an, sie war wie weggetreten. Der Arzt versuchte, Lisa zu befragen, aber sie sah ihn nur entsetzt an. Er drang nicht zu ihr durch. Er wies die Schwester an, ihm eine Beruhigungsspritze zu holen.
Maria Kesten konnte lange nicht wieder einschlafen. Was war mit dem Mädchen los? Lange hatte sie versucht, Lisa zum Essen zu überreden. Aber erst die dauernd entzündeten Venen hatten Lisa dazu gebracht, ihren Widerstand gegen die Nahrungsaufnahme aufzugeben. Sie aß aber nur wie ein Spatz und war sehr dünn. Frau Kesten, die ihren Sohn durch einen Autounfall verloren hatte, lag hier seit einem dreiviertel Jahr. Sehr lange war sie nicht aus ihren Depressionen herausgekommen. Seit sie die Therapie bei Frau Dr. Dunkelmann machte, schöpfte sie so langsam wieder Lebensmut. Lisa rührte sie, sie hätte ihre Tochter sein können. Es war für sie schwer, mit anzusehen, wie sich das Mädchen quälte, und sie verzweifelte sehr oft am Schicksal, das ihren Sohn mitten aus dem Leben gerissen hatte und ihr ein junges Mädchen als Zimmernachbarin gab, das freiwillig sterben wollte. Was mochte ihr wohl zugestoßen sein, dass sie nicht mehr leben, ja nicht einmal mehr sprechen wollte?
Am anderen Morgen las Frau Dr. Dunkelmann über die nächtlichen Ereignisse. Sie zerbrach sich den Kopf über ihr Sorgenkind. Die großen dunklen Augen des Mädchens rührten sie. Diese wochenlange Apathie und im Gegensatz dazu die nächtlichen Vorkommnisse gefielen ihr nicht. Als sie das Zimmer betrat, war Lisa nicht da. Maria Kesten sagte ihr, dass sie auf der Toilette sei, die sich auf dem Gang befand. Frau Dr. Dunkelmann setzte sich einen Augenblick zu ihr. „Frau Kesten. Spricht Lisa nachts?“
„Ich konnte nur vereinzelte Worte verstehen. Sie spricht von riesigen Lampen, die sie blenden, und von einem kalten Tisch, sie jammert nach ihrer Mutter, und sie weint und schreit viel, als ob sie sich gegen irgendetwas wehrt, gegen irgend jemanden.“
„Hm.“ Frau Dr. Dunkelmann wollte noch etwas fragen, als die Tür aufging und Lisa herein kam. Die Ärztin begrüßte sie. Als sie jedoch auf sie zutrat, zuckte Lisa zurück. Lisa starrte ihren Kittel an. Sie schien Furcht vor ihr zu haben. Die Psychiaterin stutzte. Wovor hatte das Mädchen Angst? Sie verließ das Zimmer und telefonierte mit ihrem Kollegen vom Schlaflabor. Dr. Ernst Krug war bereit, Lisa aufzunehmen. Jede Nacht ab zwanzig Uhr sollte sie dort schlafen. Dort sollten nicht nur die nächtlichen Hirnaktivitäten gemessen, sondern auch aufgezeichnet werden, was sie nachts während ihrer Träume sprach. Etwa zwei Tage passierte nicht viel. Dann in der dritten Nacht konnten erstmals Worte von Lisa aufgezeichnet werden. Es waren die Worte Angst, grell, weiß, kalt, Mammi, allein, Maske, stinkt, Hilfe , dann kam etwas Unverständliches, Schmerz , wieder etwas Unverständliches, das in Schreien und Weinen überging. Es folgte alle Tage in etwa dasselbe. Frau Dr. Dunkelmann versuchte Lisa zu diesen Träumen zu befragen. Nichts. Das Mädchen sprach nicht. Später saß die Ärztin in ihrem Büro. Sie hatte Kopfschmerzen und massierte sich die Schläfen. Es frustrierte sie, dass sie nach
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