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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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Ärztin stand auf. „Gut. Mal sehen, ob er sich meldet. Ich danke Ihnen erst einmal für Ihre Hilfe. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf. Fahren Sie ein wenig weg, verreisen Sie, versuchen Sie, wieder etwas Ordnung in Ihr eigenes Gefühlsleben zu bekommen. Sobald sich Lisas Zustand ändert, melde ich mich bei Ihnen.“
    *
    Als Harald nach Hause kam, fand er einen Brief von Lydia vor. Er zuckte zusammen, als er die Schrift erkannte. Unschlüssig hielt er ihn in der Hand. Nach seiner letzten Begegnung mit Lydia war er verreist. Er hatte einen Freund in Österreich besucht und danach noch einmal die Orte seines Lebens aufgesucht, an denen er, wenn auch nur für kurze Zeit, einigermaßen glücklich gewesen war. Ruhelos war er umhergeirrt, war in Italien gewesen, und hatte einige Affären gehabt. Nach einer Woche im Harz, wo er als junger Mann die Wanderfalkenbewachung durchgeführt hatte, hatte er beschlossen, sich wieder etwas in der Art zu suchen. Er war schon so oft in seinem Leben umgezogen, dass es nur ein weiterer Ortswechsel sein würde. Was Lydia ihm wohl schrieb? Er wollte den Brief gerade öffnen, als ihn die Türklingel aus seinen Überlegungen riss. Lydia hatte er am wenigsten erwartet. „Du?“
    „Darf ich reinkommen?“
    „Bitte.“ Er ließ sie herein und führte sie ins Wohnzimmer.
    Ihr Blick fiel auf seine Reisetasche. „Warst du verreist?“
    „Ja.“
    „Hast du meinen Brief erhalten?“
    „Ja.“
    Sie sah ihn verwundert an. „Hast du ihn nicht gelesen?“
    „Nein.“
    „Lisa hat versucht, sich das Leben zu nehmen.“
    „Aha.“
    „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
    „Nun, du sagtest ja, sie hätte es versucht. Demnach lebt sie also.“
    Lydia öffnete den Mund, schloss ihn wieder.
    „Sie hat es doch bestimmt so gedreht, dass du sie rechtzeitig findest und sie damit endlich erreicht, was sie schon immer von dir wollte!“
    Lydia sah ihn entsetzt an. „Meine Güte! Du bist erbärmlich!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging. Harald rieb sich über die Stirn. Träumte er das alles? War es ein Alptraum? Eine Fata Morgana des Geistes, in der es wieder mal nur um Clärchen ging? Er kniff sich in den Arm und schüttelte noch einige Male ungläubig den Kopf, bevor er schließlich hastig den Briefumschlag aufriss.
    Hallo Harald,
    ich habe vergeblich versucht, dich zu erreichen. Lisa hat versucht, sich umzubringen. Jugendliche haben sie zum Glück auf dem Grab ihrer Mutter gefunden. Aber es wäre beinahe zu spät gewesen, denn die Tablettendosis hätte für zwei gereicht. Leider ist sie zwar körperlich über den Berg, nicht aber psychisch. Sie spricht nicht und verweigert das Essen. Sie liegt im Marienkrankenhaus auf der Psychiatrie. Die Ärzte kommen nicht an sie heran und sind auf Informationen von Menschen, die Lisa gut kennen, angewiesen. Deshalb möchte ich dich bitten, dich dort zu melden. Vielleicht kannst Du ein wenig helfen. Danke.
    Lydia
    Mit dem Brief in der Hand ließ Harald sich in den Sessel sinken und sackte in sich zusammen. Er warf den Brief von sich und raufte sich die Haare. Zwanzig Jahre verschwanden im Nichts. Er sah die kalten Augen seines Vaters, der zu ihm gesagt hatte. Du bist Schuld, dass deine Schwester tot ist. Wo warst du, als sie dich gebraucht hätte?
    *

***
    L isa lag im Bett und wurde durch lange, düstere Gänge geschoben. Die Neonlichter rollten über ihren Kopf hinweg. Alles war weiß, kahl und abweisend. Sie fürchtete sich. Wohin brachten sie sie? Was hatten sie mit ihr vor? Sie wurde in einen riesigen Raum gebracht. Dieser war weiß gekachelt. Überall standen riesige Metallflaschen herum und an furchteinflößenden Geräten hingen dicke, schwarze Schläuche. Sie wurde von vermummten Gestalten in Empfang genommen. Die Köpfe waren bedeckt und die Gesichter waren von einem Tuch verhüllt, so dass sie nur die Augen erkennen konnte, die kalt und grausam wirkten und sie anstarrten. Ihre Angst verstärkte sich. Sie hoben sie aus dem warmen Bett und legten sie auf einen harten Tisch. Sie hatte nur ein dünnes Hemdchen an, das hinten offen war. Sie fror entsetzlich und klapperte mit den Zähnen. Sie versuchte zu entkommen, aber sie ergriffen sie und schnallten ihre Arme und Beine fest. Dann stach sie etwas in den Handrücken. Es tat sehr weh. Sie weinte und schrie, aber es half ihr nichts. Über ihr befanden sich gewaltige, grelle Lampen, deren Licht sie blendete. Plötzlich passierte es. Ein riesiges, schwarzes, fauchendes Ungeheuer kam auf

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