verwundet (German Edition)
Haaren hatte sich neben Harald auf den Barhocker gesetzt.
Der Barkeeper grinste sie an. „Hallo Lisa! Wie geht’s?“
„Na ja, geht so und dir?“
„Okay soweit. Was willst du trinken?“
„Gibst du mir ´n Ouzo? Und schenk ordentlich ein!“ Harald musterte sie verblüfft, und als ob sie das merkte, wandte sie sich ihm zu. Große, dunkelbraune Augen aus einem fein geschnittenen Gesicht sahen ihn neugierig an. Er erschrak. Die gleichen dunklen Augen! Das Mädchen hatte sich wieder abgewandt und scherzte mit Greg. Ihre Locken fielen über ihre Schultern. Ihre Gestalt war zierlich, sie mochte etwa einmeterundsiebzig sein. Sommersprossen auf Nase und Wangen gaben ihrem schmalen Gesicht einen ganz eigenen Charme. Sie war anscheinend Stammgast, denn sie winkte allen möglichen Leuten zu. Nun griff sie in ihre Tasche, zog Zigaretten heraus und steckte sich eine zwischen die Lippen. Bevor sie ihr Feuerzeug gefunden hatte, hielt Harald ihr schon sein eigenes hin. Ein erstaunter Blick traf ihn. Sie zündete ihre Zigarette an und bedankte sich. Sie inhalierte tief und wollte etwas sagen, als sie von einem jungen Kerl unterbrochen wurde. „He Lisa, hast du Lust auf ´ne Runde Billard?“ Sie nickte Harald noch einmal zu und folgte dem Burschen zum Billardtisch. Er beobachtete die beiden beim Spielen. Donnerwetter! Sie ging geübt mit dem Queue um und versenkte einige Kugeln mit gezielten Treffern. Der Typ würde es nicht leicht haben. Er orderte bei Greg noch ein Bier und beobachtete die anderen Leute. In der Nähe der Tanzfläche saß ein Mann, dessen Alter schwer einzuschätzen war. Er konnte vierzig, aber auch schon fünfzig sein. Er schien die Begegnung mit einer Schere oder einem Rasiermesser zu scheuen. Sein Bart war zottig, die Haare verfilzt und sein Gesicht, das man nur zur Hälfte sah, wirkte eingefallen, der Körper ausgemergelt. Trübsinnig starrte er in seinen Bierkrug, den er mit beiden Händen fest umklammert hielt. Ein merkwürdiger Gegensatz zu der drallen Blondine hinter ihm mit der zu dick aufgetragenen Schminke und dem zu tiefen Dekolleté, bei dem er sich fragte, warum sie überhaupt eine Bluse trug. Der Kerl neben ihr schien sich das Gleiche zu fragen, denn er fingerte ständig an ihr herum. Am Nachbartisch saß eine Gruppe und spielte Karten. Sie waren ungefähr in seinem Alter und offensichtlich schon ziemlich angetrunken. Zwei der Spieler trugen gerade einen Zwist miteinander aus. Zwei Tische weiter begegneten seine Augen einem stiernackigen Kerl, der ihn mit glasigem Blick fixierte. Harald schaute betont gelangweilt weg. Er kannte diese Typen. Die warteten nur darauf, Streit anzufangen, und danach stand ihm nicht der Sinn. Die jungen Leute, die auf der anderen Seite Kicker spielten, erinnerten ihn an seine ehemalige Clique. Peter, der ihm vor drei Jahren in seiner Heimatstadt über den Weg gelaufen war, hatte ihm erzählt, dass zwei von ihnen schon tot waren. Gerade Jörg, der Vernünftigste von ihnen allen, war an Krebs gestorben und hatte eine Frau und zwei kleine Kinder zurückgelassen. Steffen hatte sich den goldenen Schuss gesetzt. Von ihm wusste er nur, dass er allein bei seinem Vater aufgewachsen war, dessen Erziehungspraxis darin bestanden hatte, dem Jungen jeden Tag vorsorglich eine Tracht Prügel zu verabreichen. Sie alle hatten nicht viel über sich geredet. Sie waren in einem Alter gewesen, in dem man den harten Kerl herauskehrte, und dazu gehörte nicht, sich über Probleme oder Gefühle auszulassen. Nur im angetrunkenen oder bekifften Zustand hatten sie sich ab und zu etwas erzählt.
Er sah wieder zum Billardtisch. Lisa zog die Stirn kraus, bevor sie einen exzellenten Stoß hinlegte. Was trieb sie in diese Kaschemme? Trotz ihres geübten Spiels und der in ihrem Mundwinkel eingeklemmten Zigarette hatte sie etwas Zerbrechliches an sich. Er schätzte sie auf allerhöchstens zwanzig. Es war ein ziemlich ausgeglichenes Spiel, und ihr Gegner gewann nur ganz knapp. Sie kam zur Bar geschlendert und bestellte sich noch einen Ouzo. Auch diesen kippte sie in einem Zug. „Greg, leg doch mal die andere Platte von Queen auf und mach lauter.“
Dieser nickte und kurz darauf erklang We will rock you . Sie lief zur Tanzfläche. Das Lied lockte mehr Leute an, und bald herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Leute klatschten mit den Händen über ihren Köpfen und stampften mit den Füßen den Rhythmus auf dem Boden mit. Lisa schien in ihrem Element zu sein. Immer wieder sah er ihre roten
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