Verwunschen
Kylah.
»Wer oder was sind die da vorne?«
Die drei richteten ihre Blicke auf eine Gruppe von Wesen, die, ebenso wie die Wasserelfen, ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren. Sie waren noch kleiner als diese, aber von gedrungener Gestalt, hatten einen bräunlichen Teint und kräftige, dunkle Haarschöpfe. Sie hätten wie nette Gartenzwerge wirken können, wäre da nicht der finstere Blick aus ihren schwarzen Augen gewesen, mit dem sie die Kinder fixierten und der jeden Gedanken an drollige Zwerge ausschloss.
»Das sind Erdgnome«, flüsterte Kylah zurück.
»Erdgnome?«, nahm Patrick das Wort auf. »Aber sagtest du vorhin nicht, die seien völlig harmlos?«
»Ja, das dachte ich, aber sie haben euch vorhin gestoßen und wohl auch eure Kreidezeichen weggewischt. Vielleicht habe ich mich ja in ihnen getäuscht …«
Mona führte für sie den Satz zu Ende, » … denn sie wirken ganz schön kriegerisch! Und so entschlossen wie sie dreinsehen, sind sie nicht bereit, uns passieren zu lassen.«
Patrick musterte die Gestalten kritisch, die nun eifrig miteinander zu diskutieren schienen. »Sie sind kaum mehr als kniehoch«, sagte er geringschätzig und machte einen Schritt auf die Felsplatte zu, doch Kylah und Mona griffen beide nach seinen Armen.
»Ja, aber sie sind mehr als wir und ihre Lanzen sehen nicht wie Kinderspielzeug aus.«
Mona fixierte die Holzwaffen mit ihren metallisch glänzenden Spitzen, von denen jeder Gnom eine mit der Rechten umklammerte. »Womöglich sind sie sogar vergiftet.«
»Und selbst wenn nicht«, fiel Kylah ein. »Die Platte ist so schmal, dass nicht viel dazu gehört, einen aus dem Gleichgewicht zu bringen und in den Abgrund stürzen zu lassen.«
»Du glaubst, das würden sie wirklich tun?«, fragte Mona wispernd und sah mit Entsetzen in die bodenlose Schwärze hinab.
»Ich weiß es nicht«, gab Kylah zu. »Ich dachte, die Magischen zu kennen, aber ich habe mich wohl geirrt.«
»Das scheint mir auch so«, knurrte Patrick, der die nun langsam über die Steinplatte vorrückenden Erdgnome nicht aus den Augen ließ. Die drei Kinder wichen zurück.
»Und was machen wir jetzt?«, wollte Mona wissen, als sie mit dem Rücken gegen etwas Weiches stieß. Mit einem Aufschrei fuhr sie herum und starrte zu der Gestalt hoch, die sie fast um Kopfeslänge überragte.
Sie war schlank mit einem schmalen, schönen Gesicht und denselben spitzen Ohren wie die Wasserelfen, doch im Gegensatz zu diesen hatte ihre Haut einen milchweißen Ton, die Augen waren von einem fast überirdischen Smaragdgrün und ihr hüftlanges Haar war ebenholzschwarz. Auch das lange Gewand war von einem dunklen Blaugrün.
Mona hätte seine Schönheit bewundert, wenn dieser durchdringende Blick ihr nicht die Knie hätte weich werden lassen.
Mit geöffnetem Mund starrte sie stumm in das wunderschöne Gesicht, das Hass oder nur Verachtung widerspiegelte.
»Höhlenelfen«, hörte sie Kylah murmeln und sah aus den Augenwinkeln, wie ihre Freundin auf die Knie sank und den Kopf neigte. Ob es Ehrerbietung oder Schwäche war, vermochte Mona nicht zu sagen. Da bemerkte sie, wie auch ihr Bruder auf die Knie fiel. Mona blickte wieder zu dem Elf hoch, der seine langen, feingliedrigen Finger nach ihr ausstreckte. Sie konnte sich nicht mehr bewegen.
Als seine Fingerspitzen ihre Schulter berührten, sank auch sie zu Boden, doch sie spürte den kalten Fels nicht, auf dem sie niederkniete. Das Letzte, woran sie sich noch erinnern konnte, waren einige Worte in einer seltsamen Sprache, auf die hin noch mehr Höhlenelfen herantraten. Dann sackte sie zur Seite und alles um sie herum verschwamm in einem dunklen Nebel.
M ona öffnete die Augen. Es war nicht mehr richtig dunkel, aber auch nicht heller Tag. Es herrschte dieses Zwielicht der Morgendämmerung, wenn die Vögel draußen ihre ersten Lieder anstimmen und man sich getrost noch einmal im Bett herumdrehen und ein wenig schlafen kann, bis das Schrillen des Weckers einen gnadenlos aus dem Bett und in die Schule jagt.
Als Mona sich umdrehen wollte, wurde ihr klar, dass sie nicht in ihrem Bett daheim in Hamburg lag und dies auch kein normaler Schultag werden würde. Sie lag zwar auf etwas Weichem, doch sie trug Jeans und ein T-Shirt statt ihres Schlafanzugs, es lag keine Bettdecke über ihr, und vor allem waren ihre Handgelenke zusammengebunden! Mit einem Ruck setzte sich Mona auf. Sie blinzelte heftig, um den Schwindel zu vertreiben, der sie dabei erfasste.
Wo um alles in der Welt
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