Verzaubert
seine Finger, die auf meinen ruhten. Er folgte meinem Blick, atmete aus und zog die Hand weg.
Ich gab mir einen Ruck und fragte: »Aber wie erklären Sie sich das alles?«
»Wie erklären
Sie
es sich? Sagen Sie mir, was Sie wirklich denken.«
Es war schwer, ihm gegenüber Ängste einzugestehen, die ich selbst nicht richtig wahrhaben wollte. »Ähm …«
»Kommen Sie, Esther. An jenem Abend, als ich Sie im Theater verhörte, schienen Sie mir eine der vernünftigsten Personen zu sein.«
»Sie erinnern sich an mich?«
Sein Gesichtsausdruck nahm einen schelmischen Zug an. »Ich erinnere mich daran, wer das engste Kostüm trug.«
»Das war nicht gerade nett.«
Er grinste. »Ganz im Gegenteil, ich fand es
sehr
nett.«
»Sie sollten nicht so mit mir reden«, erwiderte ich. »Sie sind der ermittelnde Beamte!«
»Da haben Sie allerdings recht.« Sein Lächeln verschwand, und ich bedauerte es. »Aber glauben Sie wirklich, dass Sie sich von einem Augenblick auf den nächsten in Luft auflösen, wenn Sie bei diesem Zaubertrick mitmachen?«
»Nein, natürlich nicht«, versicherte ich. »Seien Sie nicht albern.«
Er verschränkte die Arme. »Also?«
Ich war ernüchtert. In dem kalten, fluoreszierenden Licht des Großraumbüros, umgeben von klingelnden Telefonen, Cops und Verbrechern, kam ich mir ziemlich naiv vor. »Tja, dann sollte ich Sie wohl nicht wieder behelligen, wenn ich noch mehr von diesen –«
»Oh, doch. Bitte kommen Sie wieder vorbei.« Er grinste mich erneut an. »Unsere Begegnungen sind die Highlights meiner eintönigen Tage.«
Ich seufzte und stand auf. »Ich bin schon spät dran für die Probe.«
»Esther.« Der ernste Ton hielt mich zurück. »Lassen Sie mich wissen, wenn Sie weitere Warnungen erhalten.«
Ich begegnete seinem Blick. »Mach ich. Aber Sie sind sicher, dass es keinen Grund zur Sorge gibt?«
»Richtig. Und ich möchte, dass auch Sie sich keine Sorgen machen.« Als ich nicht antwortete, drängte er: »Okay?«
Ich war nicht so überzeugt wie er, deshalb wiederholte ich nur: »Ich bin spät dran für die Probe.« Dann ging ich.
In der Schlussszene gab mir die Musik das Zeichen zum Einsatz. Der Hexenmeister wollte Virtue nun für immer verschwinden lassen. Für immer … Wo steckte Golly nur?, schoss es mir durch den Kopf.
Ich verdrängte diesen Gedanken. Lopez hatte recht. Ich würde nicht zulassen, dass ein paar alberne Botschaften und Gollys mysteriöses Verschwinden die Show und damit meine Karriere ruinierten.
Davon abgesehen hatte ich diesen Trick bereits früher geprobt. Ich wusste genau, wie er funktionierte. Es gab nichts, wovor ich Angst haben musste. Rein gar nichts.
Joe haspelte sich durch seinen Text. Als er die sich sträubende Virtue, also mich, packte und zu der Glaskiste zog, zitterte er am ganzen Leib. Seine Handflächen waren so feucht von Schweiß, dass er von meinen Armen abrutschte und auf die Knie fiel. Ich verpasste den Einsatz für meinen Song.
Der Regisseur brach ab. Wir setzten nach Joes Text wieder ein. Doch Joe ergriff meinen Arm und ging in die falsche Richtung. Dritter Versuch. Schweißperlen liefen über das Gesicht des Zauberers.
Himmel, er hatte mehr Angst als ich – auch ohne geheime Umschläge und Zeitungsausschnitte. Er war davon
überzeugt,
dass er mich verschwinden lassen würde, dass ich kurz davorstand, Gollys Schicksal zu teilen. Als er mich dieses Mal zu der Kiste zerrte, war mein Widerstand echt. Wie hatte Magnus die Illusion definiert?
Ein Schatten der Welt, wie sie sein könnte, wenn man nur daran glaubt.
Und plötzlich glaubte ich mit aller Macht. Ich glaubte so sehr, dass sich mir der Magen zusammenzog und mir Tränen in die Augen stiegen. Mein Körper zitterte wie Espenlaub.
Ich sah an Joes Blick, dass auch er jeden Moment durchdrehen würde. Der Zauberer öffnete die Glastür und befahl mir, hineinzugehen. Doch ich starrte auf die gähnende Leere und erkannte, dass ich nicht herausfinden wollte, was mit Golly Gee passiert war.
»Nein!«,
schrie ich, sprang mit einem Satz von der Kiste fort und schleuderte meine goldenen Handschellen auf die Bühne. »Nein, nein, nein!«
»Wie bitte?«
»Was tut sie da?«
»Esther!«
»Was läuft hier?«
»O Gott!«, brüllte Joe.
Auf der Bühne brach das Chaos aus. Alle riefen durcheinander. Der Chor rannte wild umher. Der Prinz trat hinter dem Vorhang hervor und schwenkte sein Schwert. Der Regisseur tobte.
Matilda sauste auf mich zu und keifte: »Was zur Hölle soll das
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