Verzauberte Herzen
wissende Blicke zu. Beide hatten den
herzhaften Appetit registriert, den Gwendolyn seit ihrer Rückkehr entwickelt
hatte. Aber dann hatte ihre pünktlich eintreffende Regelblutung allen
Spekulationen ein Ende bereitet. »Du hättest mitkommen sollen, Gwennie«, rief
Nessa ihr zu. »Heute ist wieder eins von MacCulloughs voll beladenen Schiffen
aus Edinburgh angekommen. Und wir haben seinen kräftigen, jungen Matrosen vom
Steilufer aus dabei zugesehen, wie sie alles zur Festung hinübergerudert haben.«
Glynnis
schlug sich die Hand vor die Brust. »Ich habe noch nie so schöne Sachen gesehen
– vergoldete Kaminsimse, Oberlichter aus buntem Glas und Sitzbänke, die mit
Sei-denmoiré gepolstert waren. Unser Clanslord besitzt einen untadeligen
Geschmack.«
»Und nicht
den geringsten Anflug von Geiz«, gab Gwendolyn zurück und versuchte, nicht an
das lächerlich extravagante Bett zu denken, das sie nie miteinander geteilt
hatten.
»Warum
sollte er auch geizig sein, wo er eine ganze Schiffsflotte besitzt? Einer
seiner Gefolgsleute hat mir erzählt, dass die Krone ihn sogar für seine
Tapferkeit zum Ritter geschlagen hat, weil er bei Louisbourg irgendeinen
Admiral aus den Klauen der Franzosen befreit hat.«
»Es war ein
Glück für die Engländer, dass sie ihn nicht umgebracht, sondern zum Dienst in
die Königliche Marine gepresst haben«, pflichtete Gwendolyn trocken bei. »Aber
ich finde es recht seltsam, dass wir nie etwas von seinen Heldentaten gehört
haben.«
»Weil er
unter anderem Namen gelebt hat«, erklärte Nessa. »Bernard Grayson. Anscheinend
haben die Engländer nicht einmal gewusst, dass er Schotte ist.«
Gwendolyn
schüttelte den Kopf und hängte eins ihrer eigenen hausbackenen Kleider über
die Leine. »Ich habe nie verstanden, wie er für das Land kämpfen konnte, das
seinen Vater auf dem Gewissen hat.« Das war nur eines von vielem, was
sie an Bernard MacCullough nie verstehen würde.
Nessa warf
Gwendolyn einen Seitenblick zu und gab Glynnis einen Stups. »Maisies Mutter hat
von einer der Waschfrauen gehört, dass er auch ein ziemlicher Schwerenöter
gewesen sein muss. Obwohl er, nachdem er seinen Abschied von der Marine
genommen hat, in den vornehmsten Londoner Salons geladen war, sagt Maisies
Mutter, hat er sich nachts meistens in Spielhöllen und Bordellen herumgetrieben.«
Wie
lachhaft und unbeholfen mussten ihm ihre scheuen Küsse und ungeschickt
Zärtlichkeiten erschienen sein, dachte sich Gwendolyn und wrang brutal eines
von Nessas Kleidern aus.
»Aber diese
Zeiten sind jetzt wohl vorbei.« Glynnis malte mit der Fußspitze Muster auf den
schmutzigen Boden, um möglichst unbeteiligt zu wirken. »Jetzt, wo er eigenes
Vermögen hat und sein Erbe zurückfordert, ist es nur noch eine Frage der Zeit,
dass er sich eine Frau sucht.«
»Sollte er
darauf spekulieren, dich zwischen zwei Ehen zu erwischen, muss er sich aber
beeilen«, sagte Gwendolyn, warf ein triefnasses Handtuch über die Leine und
verfehlte Glynnis' Nase nur knapp. »Andererseits hat er für deinen Geschmack
sicher genug Silber in den Taschen, allerdings nicht im Haar. Du würdest doch
keinen Mann heiraten, der dich vielleicht noch überlebt, oder?«
»Du kannst
ihn gerne heiraten, Glynnis«, trällerte Nessa. »Denn ich bin eh wild
entschlossen, seine Mätresse zu werden.«
Die
Schwestern brachen vor kindischem Gekicher fast zusammen, und Gwendolyn suchte
ihre Schürzentasche nach Keksen ab. Sie kaute gerade den letzten, als das
Gartentor knarrte.
Als sie
einen Mann im Schatten stehen sah, tat ihr Herz einen seltsamen Sprung. Doch
dann war es Tupper, der sich einen unauffälligen schwarzen Gehrock und
Kniebundhosen angezogen hatte.
»Guten Tag,
die Damen.« Er verbeugte sich höflich vor ihren beiden Schwestern und wandte
sich dann mit ernsthafter Miene Gwendolyn zu. »Ich habe mich gefragt, Miss Wilder,
ob ich Sie wohl kurz sprechen kann. Alleine.«
»Aber
sicherlich, Mr. Tuppingham«, antwortete sie und machte sich ihren Reim auf sein
gestelztes Verhalten. Er war die letzten Wochen häufig im Herrenhaus zu Gast
gewesen, doch jedes Mal unter einem Vorwand verschwunden, sobald Gwendolyn
erschienen war. Wahrscheinlich fühlte er sich noch wegen der Rolle schuldig,
die er bei ihrer Entführung gespielt hatte. Glynnis und Nessa machten sich
widerwillig und nicht, ohne sich noch neugierig nach Tupper umzudrehen, davor.
Sie konnten immer noch nicht fassen, dass sich ihre kleine Schwester einen
derart exotischen Verehrer an Land
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