Verzauberte Herzen
endlich dem Schatten der Burg zu entkommen.
Weyrcraig
Castle war nicht länger die Höhle des Drachen, sondern nichts als eine simple,
verfallende Ruine.
Bald würde
das fahle Morgenlicht die ausgebrannten Gemächer und
zerschmetterten Türme hinaufkriechen und ihre ganze Hässlichkeit enthüllen. Die
Nacht war vorüber, und ihr
blieb keine andere Wahl, als aus dem wundervollen Traum zu erwachen, der zwei
Wochen lang ihr Leben gewesen war.
Sie blickte
zum ungerührten Antlitz des Mondes empor, als sie hinter sich leise Schritte
hörte. »Sie haben immer noch nicht gelernt, sich angemessen zu bedanken, wenn
jemand Sie rettet.«
Gwendolyn
stand auf und sah Bernard MacCullough ein Stück entfernt barfuß im Sand stehen.
Der Wind zerrte an seinem Hemd und zerzauste sein dunkles Haar.
»Ich bin
erstaunt, dass Sie den Dorfbewohnern nicht gestattet haben, mich zu
verbrennen«, antwortete sie. »Dann wären Ihnen all diese Widrigkeiten erspart
geblieben.«
»Ich hätte
nie daran gedacht, Sie den Dörflern auszulie fern, aber ich wollte auch nicht,
dass Sie die Wahrheit auf diese Art und Weise herausfinden. Als ich schließlich
fürchten musste, dass sie Ihnen mehr Leid zufügen würden, als ich es je
vermocht hätte, musste ich sofort einschreiten.«
»Sie sind
also wegen mir von den Toten auferstanden? Ich sollte mich vermutlich
geschmeichelt fühlen. Wann hatten Sie vor, mir zu sagen, wer Sie wirklich
sind?« Ihre Wangen röteten sich unerwünschterweise. »Nachdem ich Sie in
mein Bett gelassen hätte?«
Er
schüttelte hilflos den Kopf. »Es gab Momente, da sehnte ich mich geradezu
danach, es Ihnen zu sagen. Als ich Sie zum ersten Mal küsste. In der Nacht, wo
der Sturm tobte ... als Sie mir erzählt haben, wie die Dorfleute meinen Körper
ins Tal hinunterbrachten ... und Sie um mich geweint haben.«
»Das war
nur ein kleiner Teil der Tränen, die ich während der letzten Jahre an Sie
verschwendet habe. Aber das wissen Sie längst, nicht wahr? Ich habe Ihnen
schließlich mein Herz ausgeschüttet. Und Sie hatten die Unverfrorenheit,
einfach dazustehen und mir zuzuhören, wie ich daherplapperte, welch
liebenswürdiger und vortrefflicher junger Mann Sie waren und wie sehr ich Sie
angebetet habe.« Sie wandte sich ab, krank vor Scham. »Für wie lächerlich
müssen Sie mich gehalten haben!«
»Ich habe
Sie nie als lächerlich empfunden«, antwortete Bernard und wagte es, ein paar
Schritte näher zu kommen. »Ich dachte immer nur, wie enttäuscht Sie sein
würden, den Mann zu treffen, zu dem dieser Junge geworden war.« Er wollte ihr
Gesicht zu sich wenden, aber sie wich ihm aus. »Ich verstehe Sie nicht. Sie
scheinen mich jetzt mehr zu fürchten als zu der Zeit, wo Sie mich für einen
Fremden hielten.«
»Ich habe
keine Angst vor Ihnen«, log sie. »Ich ertrage es nur nicht, wenn Sie mich
berühren.«
»Warum
nicht?«
»Weil Sie
mich dazu gebracht haben, einen Mann zu lieben, der nie existiert hat. Aber
Sie sind nicht dieser Mann.« Gwendolyn bewegte sich auf die Brandung zu und
schrie ihren ganzen Kummer heraus. »Sie sind nicht der Drache! Sie riechen wie
er, Sie klingen wie er, aber Sie sind nicht er, und ich halte es einfach nicht
aus, dass Sie hier sind und er für ewig verschwunden ist!«
Sie wollte
ihn keine einzige Träne mehr sehen lassen, rannte auf die Klippen zu und ließ
ihn alleine im Mondlicht zurück.
Bernard
stellte einen Fuß auf den Felsbrocken, auf dem Gwendolyn gesessen hatte, und
sah den lavendelfarbenen Himmel rosa werden. Er konnte sich nicht dazu
entschließen zu gehen, denn er würde ihr vielleicht nie mehr so nahe sein wie
hier. Er hatte die Engländer nie um Gnade angefleht, doch als er Gwendolyn
davonlaufen sah, war er kurz davor, ihren Namen zu rufen. Und sie anzuflehen,
ihn nicht zu verlassen.
Der Drache
wäre ihr hinterhergerannt. Er hätte, wenn nötig, das Dorf erstürmt und sie
wieder gefangen genommen. Er hätte sie in den Turm zurückgebracht und so lange
geliebt, bis sie ihren eigenen Namen vergessen hätte, ganz zu schweigen von
seinem.
Aber
Gwendolyn glaubte nicht mehr an Drachen. Es war ihre Vorstellungskraft gewesen,
die den Drachen zum Leben erweckt hatte. Ohne ihren Glauben war er nur ein
herzloser Schurke, der eine unschuldige Frau dazu verführt hatte, sich in ein
Fantasiegebilde zu verlieben.
Die Sonne
schob sich über den Horizont und ließ das Meer in ihrem gewaltigen Glanz
erstrahlen. Früher hatte er das blendende Licht gemieden, jetzt hieß er
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