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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Lippen tropfte.
    »Kennen Sie den Herrn?«, fragte Helga Grieg.
    »Nein.«
    Er machte sich auf den Weg zur Treppe.
    »Mir wärs lieber, Sie würden Ihren Schlüssel abgeben, wenn Sie das Haus verlassen«, sagte die Frau.
    »Mir nicht.«
    Er sah keinen Grund sich zu entschuldigen.
    Nachdem er die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, fiel ihm die Begegnung mit dem Betrunkenen ein. Wann genau war das? Gestern. Vorgestern. Vor fünf Tagen? Was hab ich die ganzen Tage gemacht? Kneipen… Das Café… Die Namen wusste er nicht mehr. Aber ich war doch dort! Er stellte fest, dass er nichts ausgepackt hatte. Er setzte sich auf den Boden. Lehnte sich an die Tür. Zog die Beine an. Er gehörte nicht hierher. Alles Einbildung. Keine Minute lang hatte er sich in diesem Zimmer aufgehoben gefühlt.
    »Ich zieh um!«, sagte er wenig später zur Wirtin.
    »Die Polizei kommt nicht mehr«, sagte Helga Grieg.
    »Kennen Sie ein billiges Hotel?«
    »Sie zahlen überall mehr.«
    »Ich muss hier raus«, sagte Niklas Schilff.
    »Sie sehen schrecklich aus.« Dann telefonierte sie.
    »Ich hab einen Bekannten in der Landwehrstraße, der nimmt Sie«, sagte sie anschließend. »Fünfzig Mark, in Ordnung?«
    Alles, was er wollte, war ein Zimmer, in das niemand ohne seine Erlaubnis eindrang.
    »Was kriegen Sie von mir?«
    »Meine Tochter hat gesagt, Sie sind in Not. Die vier Nächte gehen aufs Haus.«
    Er gab ihr vierhundert Mark. Und verabschiedete sich. Auf der Straße stellte er den Koffer hin. Und setzte sich drauf.
    Schlug die Hände vors Gesicht. Und schaute durch das Gitter seiner Finger.
    Er war noch nicht weit genug mit der Ermordung seiner Vergangenheit.
    »Ich traf sie zufällig im Tierpark des Griffith Park, purer Zufall.
    Sie ging mit einer Freundin spazieren. Sie trug eine dunkle Brille und einen Hut. Aber ich hab sie sofort erkannt. Ich war da oben, um Abstand zu kriegen von dem Müll, der um mich rum war zu der Zeit. Man hat einen irren Blick auf die Stadt.
    Und es ist fast ruhig, abgesehen von den kreischenden Kindern.
    Ich hab nicht gezögert. Erst ist sie erschrocken. Und ihre Freundin griff sofort in ihre Tasche. Ich schätze, sie hatte einen Revolver dabei oder ein Messer. Ich sagte, ich würde ihr ein paar Fragen stellen. Und wenn sie sie beantworten will, okay.
    Wenn nicht, auch okay. Dann würd ich mich verziehen. Sie ließ sich drauf ein und am Ende kaufte sie für mich und ihre Freundin eine Tüte Popcorn. Und wir redeten über die aktuellen Filme und über ›La Strada‹, der ihr absoluter Lieblingsfilm ist. Und das wars. Mit dem Magazin aus Deutschland, in dem die Geschichte drinstand, bin ich zu Silvio essen gegangen.
    Und er spendierte mir einen halben Liter Rotwein extra, weil ich der Autor war. Ich musste ihm das Interview übersetzen und vorlesen. Für Michelle würde er zwanzig Kilo abnehmen und Französisch lernen, sagte er. Ich fragte ihn, wieso er für sie Französisch lernen will. Er sagte, weil sie Französin ist, das hört man doch am Namen, ob ich das nicht gewusst hätte.«
    Er sah den Mann, der neben ihm saß, lange an.
    »Sie können mit mir reden, ich frag Sie nicht aus.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. Erhob sich. Und setzte sich auf die Plastikbank in einigen Metern Entfernung.
    Auf dem U-Bahnsteig herrschte Gedränge. Die Züge waren voll besetzt. Manchmal sprang ein zusammengeklappter Regenschirm auseinander, und die Leute schimpften.
    Seit er hier unten saß und auf nichts wartete, hatte er noch niemand lachen sehen. Sogar die Kinder hatten Novembergesichter.
    Außer ihm saß eine Türkin in einem grauen Mantel auf der Bank. Der Platz in der Mitte, auf dem der Mann gesessen hatte, blieb frei.
    Eine U-Bahn fuhr ein. Die Leute schoben sich gegenseitig hin und her. Die Ansage des Fahrers war kaum zu verstehen. Die Bahn fuhr ab. Und ein dicker Mann in einem grünen Lodenmantel setzte sich neben Schilff. Die Türkin rückte von ihm weg, so weit das auf dem schmalen Sitz möglich war.
    »Sauwetter«, sagte der Dicke.
    »Wahrscheinlich schneit es bald«, sagte Schilff.
    »Ich hab nix gegen Schnee, Weihnachten wär halt nett, wenns da weiß wär. Aber bei uns schneits im November, und das wars. Dann Ostern wieder.«
    Der Dicke fummelte in der Manteltasche. Und holte eine Zigarette heraus.
    »Haben Sie Feuer?«
    »Nein«, sagte Schilff.
    »Ich hab selber irgendwo eins.«
    Der Mann schob seinen massigen Oberkörper nach vorn. Steckte die Hand in die Hosentasche. Spreizte die Beine.
    Und suchte

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