Verzwickt chaotisch
gesprochen. Ich hab sie ein wenig umweht.«
»Umweht!?«
»Oh Luzie. Geh nicht gleich wieder in die Luft. Ich bin um sie herumgeflattert und sie hat es gemerkt und dann hab ich die Saiten der Gitarre schwingen lassen und – nun, deine Oma Anni ist alt. Und ihr Geist ist offen. Sie nahm die Gitarre, legte sie auf den Balkon, machte einen seltsamen Tanz mit bunten Tüchern und war total glücklich. Aber noch glücklicher war sie, als die Gitarre plötzlich weg war. Sie hat gejauchzt!«
Und danach war eine Gitarre durch die Luft gesegelt. Vom Oggersheimer Seniorenstift bis in den Hemshof. Denn eine Gitarre konnte Leander nicht unter seine Weste schieben, wie er es mit anderen Dingen zu tun pflegte, die er sich »lieh«. Zum Beispiel Liederbüchern oder gefälschten Aufsätzen.
»Okay. Dann gib mir die Gitarre und ich bring sie wieder zurück. Sofort!«
»Nein!« Wir begannen miteinander zu rangeln und ich hatte es fast geschafft, die Gitarre aus Leanders eisenhartem Griff zu befreien, als er abrupt losließ und ich hintenüber vom Bett kippte.
»Du jemine, Luzie, was machst du da nur wieder?« Ein riesiger Schatten fiel auf mich. Mama.
»Aua«, jammerte ich matt. Meine Wirbelsäule schmerzte und die Gitarre war beim Aufprall mit einem lauten Klong gegen meine Stirn geschlagen. »Alles in Ordnung. Ich bin nur gestolpert.«
»Aber das ist ja – das ist ja Annis Gitarre. Wieso hast du denn Annis Gitarre?«
Oh verdammt. Mein Leben war so anstrengend, seitdem Leander bei mir war. Früher war Lügen eine Art Sport für mich gewesen. Es hatte mir Spaß gemacht. Jetzt war es eine Notwendigkeit und machte gar keinen Spaß mehr.
»Weil wir auf der Klassenfahrt Lieder singen werden und Herr Rübsam mich gefragt hat, ob ich dafür ein paar … Akkorde einstudiere. Anni hat mir die Gitarre geliehen.«
»Du warst bei Anni im Seniorenstift? Ohne mir davon zu erzählen?«
»Ja.« Ich richtete mich seufzend auf und befühlte die kleine Beule an meiner Stirn. Halb so wild. Aber mein Rücken tat immer noch weh. »Nach der Schule. Wir hatten eine Stunde früher Schluss.«
»Hm.« Mama blieb misstrauisch. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich war furchtbar unmusikalisch. Und diese mangelnde Musikalität war stets mein bestes Argument gewesen, mich dem Ballett zu verweigern. Ich hatte zwar Rhythmusgefühl, was sogar Serdan zugegeben hatte, als er noch geredet hatte – und Serdan war ein verdammt guter Breakdancer, fast so gut wie Leander –, aber ich konnte weder singen noch ein Instrument spielen. »Ich hab gedacht, dass … na ja. Dass die Jungs das vielleicht gut finden«, setzte ich verlegen hinterher und schlug die Augen nieder. Leander ließ sich höhnisch prustend auf den Boden fallen.
»Ach, meine kleine große Luzie.« Ehe ich fliehen konnte, hatte Mama ihre Arme um mich gewickelt. Meine Nase versank in dem rosafarbenen Samt ihres Schals und ich musste husten, weil ihr Parfüm in meinem Hals kratzte. Süßes Parfüm. Viel zu süß. Sie ließ los, bevor mir schwarz vor Augen werden konnte. Zutiefst gerührt schaute sie mich an. »Du studierst für Serdan ein Lied ein? Wie rührend. Wie zauberhaft!«
Ach, verflixt. Mama dachte ja immer noch, ich hätte mich in Serdan verknallt. Ich nickte stumm. Ein Lied für Serdan. Er wäre schneller weg, als ich gucken könnte. Sollte ich Serdan mal loswerden wollen, wäre das eine gute Möglichkeit – ein Lied aus Herrn Rübsams Mundorgel für ihn singen. Plus Gitarrengeschrammel.
»Aber Luzie …« Mamas Blick wurde sorgenvoll. »Nimm dich in Acht, ja? Serdan stammt aus einem anderen Kulturkreis. Die pflücken die Mädchen wie die Äpfel von den Bäumen. Und ehe du dich versiehst, nimmt er dich mit in die Türkei und …«
»Oh Mama. Das ist doch Quatsch. Serdan will nicht in die Türkei. Er ist in Deutschland aufgewachsen. Er wird mich schon nicht entführen. Außerdem – ich weiß ja gar nicht, ob er mich überhaupt mag.« Das stimmte tatsächlich. Und meine Worte klangen trauriger, als ich beabsichtigt hatte. Leander prustete noch einmal. Ich hatte große Lust, ihn aus dem Fenster zu werfen. Und die blöde Gitarre dazu.
»Na gut. Dann üb noch ein bisschen, mein Schatz.« Mama strich mir über das Haar und ging betont langsam nach draußen. In der Tür blieb sie noch ein, zwei Sekunden stehen – sie hoffte, ich würde sie aufhalten, um ein Mama-Tochter-Gespräch mit ihr anzufangen –, dann gab sie schnaufend nach und zog sich in die Küche zurück.
Ich schleuderte
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