Video-Kid
wenn mir das Unglück widerfährt, mein Leben zu verlieren? Unsere Seelen kehren nach dem Ableben in die Unendlichkeit zurück, um meine körperliche Hülle brauche ich mir dann keine Sorgen mehr zu machen. Solange der Körper oder die Masse oder was auch immer uns nichts tut, solange wir noch unter den Lebenden weilen, besteht keine Gefahr für uns. Das war es doch, was du uns sagen wolltest, Professor, nicht wahr?«
»Ganz genau«, sagte Armbruster. »Nun kommt, wir haben schon genug Zeit mit diesem müßigen Palaver verschwendet. Wir suchen jetzt nach einem Weg, diese Böschung hinunterzugelangen. Höchstwahrscheinlich hat das abfließende Wasser aus dem Sumpf einen begehbaren Kanal in die Böschung gegraben. Den wollen wir ausprobieren.« Armbruster stand auf und machte sich auf, am Rand der Böschung entlangzuwandern.
»Mir gefällt das immer noch ganz und gar nicht«, rief ich seinem Rücken nach, aber das Neutrum ließ sich von mir nicht aufhalten. Einen Augenblick später eilte Anna ihm nach. Ich stand nun vor der Qual der Wahl: entweder Armbruster Moses folgen oder allein durch den Sumpf waten. Was für eine Alternative!
Auf unserem Weg zum Wasserfall regnete es heftig, und wir wurden bis auf die Haut durchnäßt. Armbruster hielt sich jedoch nicht damit auf, nach einem Platz zu suchen, an dem wir uns unterstellen konnten, sondern blies seine Kiemen auf und marschierte selbstzufrieden und in aller Seelenruhe weiter.
Der Boden neigte sich im Kanal zum Wasserfall, und der Weg war steil und schlüpfrig. Nebel hüllte uns ein, und wir fanden uns in einem Irrgarten aus Regenbogen wieder.
Wir blieben vor dem rauschenden, dröhnenden Becken am Boden des Wasserfalls stehen. Lange und weiße, verknotete Massefibern hingen wie dichtes, verkrüppeltes Efeu über die Kalksteinbasis der Böschung - weiß auf weiß. »Ich kann nicht mehr weiter«, sagte ich. »Laßt uns hier ein Lager aufschlagen und ein paar Stunden schlafen, bevor wir den allerschlimmsten Teil angehen.«
»Nein, nicht hier«, sagte Armbruster. »Das hier wäre geradezu eine ideale Stelle für einen Kamerahopper. Wir wollen lieber unter dem Baum dort Rast machen.«
»So etwas nennst du Baum?« sagte ich und war doch schon viel zu erschöpft, um mich darüber lustig zu machen. Das von ihm bezeichnete Gebilde war groß und hatte einen Zentralstamm, dem man eine gewisse Baumähnlichkeit durchaus nicht absprechen konnte, aber die Äste waren lange, kabelartige Bänder, die bis zum Boden herabhingen. Und erst dieser Boden: bizarr und körnig, relativ trocken, aber alles andere als Erdreich. Er bestand aus milchweißen Kristallen, mehr oder weniger lose verklumpt, und aus ihm ragten überall Blasen und Dellen hervor. Manche Stellen waren von runden, weißen Flechten bedeckt; sie wirkten wie dicke, weiße Farbkleckse.
Wir versteckten uns in einem kleinen, schattigen Zwischenraum in dem Kabelastgewirr. Dort würden wir fürs erste vor neugierigen Linsen sicher sein.
Anna und ich bauten das Zelt auf. Armbruster schob seine Finger in eine der weißen Erhebungen. Es zog und zerrte daran, bis es wie eine Glimmerplatte zerbrach. »Seht euch das einmal an«, sagte das Neutrum.
Die Unterseite des Stücks war voller Blätter. Sie wirkten wie Fossilien, oder besser gesagt, wie Pflanzenproben, die man zwischen Buchseiten gepreßt hatte. Die meisten waren Farnblätter und bis auf die weißliche Färbung und den Flaum in ihrer Form perfekt.
Anna sah auf eines der Blätter und blickte dann zu Armbruster. »Oh, das sind ja alles Blätter, wie wunderschön«, sagte sie, aber ihr Tonfall verriet, daß sie der Anblick eher beunruhigte.
Auch ich sah auf die Blätter, und danach lief es mir kalt den Rücken hinunter. »Was bringt es ihnen denn, in dieser Paste zu gedeihen?« sagte ich. »Da kriegen sie ja überhaupt kein Sonnenlicht. Man sieht ja, wie farblos sie sind.«
»Nun, sie benötigen weder Sonnenlicht noch Chlorophyll«, sagte Armbruster. »Die Nährstoffe aus den Pilzkulturen geben ihnen alles, was sie brauchen. Seht nur, wie perfekt sie sind: ohne Verwachsungen und ohne Krankheitsbefall. Sie bleiben in diesem Zustand, bis sie voll ausgereift sind oder bis sie genetisch zerlegt und in den Armbruster-Körper resorbiert werden. Und wenn wir noch ein wenig tiefer graben …« Das Neutrum arbeitete sich weiter vor. »Hier, ein Insekt.«
Eine braune Grille, mit weißem Flaum bedeckt, kroch matt aus einer kleinen Tasche im Innern der weißen Masse. Sie reinigte
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