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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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vertraute, fröhliche Anwesenheit meiner Kameras. Fort. Alle fort. Ich griff an meinen Kopf, um mir die Haare zu raufen. Aber die waren ja abgeschnitten, und außerdem war mein Kopf von dem dicken weißen Dreck bedeckt, der mir bereits über die Stirn und die Ohren tropfte. Ich schrie und heulte vor Wut, wieder kiekste meine Stimme, und ich sah mich mit einem roten Schleier vor den Augen nach etwas um, das ich umbringen konnte. Ich schwang meinen Nunchuck durch die Luft ... und hielt plötzlich inne. Ich ließ ihn sogar zu Boden sinken, als mir mit betäubender Wucht der Gedanke kam: Was kümmerte mich das noch? Dieses Schauspiel wäre doch auf ewig verloren. Niemand würde meine Dramatik und meine Gesten je zu sehen bekommen. Nur Anna und der Professor waren Zeuge, und die wußten meine Darbietung nicht zu würdigen; schlimmer noch, sie würden sie nach einiger Zeit vergessen haben. Ich war mit einem Schlag auf die Unbeständigkeit und Nichtigkeit eines Ungefilmten reduziert. Alle meine Taten waren ihres eigentlichen Inhalts, ihrer grundlegenden Bedeutung beraubt. Ich sank zu Boden und schluchzte apathisch.
    Ich ignorierte die jämmerlichen Versuche von Anna und Armbruster, mich zu trösten. Ihre Stimmen klangen wie die von Aufziehpuppen. Ich sprach kein Wort mehr. Armbruster ging wieder schlafen. Anna führte mich zum Fluß, wo sie mir den hart gewordenen Schlamm vom Kopf wusch, auch wenn dies gar nicht so einfach war. Etwas von dem Dreck schien sich im Restplastik auf meinem Haar festgesaugt zu haben. Ich reinigte mir mit dem Wasser das Gesicht und hörte auf zu weinen. Meine Gesichtsmuskeln verkrampften sich vor Enttäuschung und Verbitterung. Trotz kroch wie siedendes Öl aus allen Fasern in mir hoch. Blut sammelte sich in meinen Zügen und verdüsterte meine Miene. Ich schwankte. »Es wird doch alles wieder gut«, sagte Anna. Ich drehte mich zu ihr um und knurrte sie an. Die Heilige zog sich ins Zelt zurück.
    Ich blieb die ganze Nacht über wach. In dieser Zeit wich mein wilder Zorn der Verzagtheit. Ich fühlte mich vollkommen wertlos. Ich schniefte und versank im Morast des Selbstmitleids. Ganz ernsthaft erwog ich, mich im Fluß zu ertränken. Nur der Umstand, daß auch diese Tat mangels Zuschauern wertlos bleiben würde, ließ mich zögern und schließlich das Vorhaben verwerfen.
    Als der erste fahle Schimmer des Morgens den Himmel erhellte, war ich bereits zehn Stunden wach und fühlte mich erschöpft und elend. Meine Kopfhaut brannte, und zum erstenmal fühlte ich jene an der Schwelle stehende Übelkeit, die bei hormonellen Veränderungen im Körper entsteht. Die Wirkung meiner Hemmpräparate war endgültig abgeklungen, und eine wild herumwirbelnde, Kapriolen vollführende Harlekinade von männlichen Biochemikalien strömte durch meinen Blutkreislauf; ließ Haarfollikel an meiner Oberlippe, an meinem Kinn, an meinem Unterleib und unter meinen Achselhöhlen gedeihen; verlängerte meine Stimmbänder; plagte meine Drüsen damit, sie in ein atavistisches Stadium der Munterkeit zu versetzen. Ich fühlte mich zu gräßlich, um auch noch an die erotischen Veränderungen in und an meinem Körper zu denken. Zumindest das konnte ich fürs erste verdrängen.
    Anna und Armbruster hatten schlecht geschlafen und stundenlang wach gelegen. Beim Morgengrauen kamen sie zum Fluß, um mich zu holen. »Wir müssen los«, sagte das Neutrum. »Jetzt, wo uns der Hopper entdeckt hat. ist Eile dringend geboten.«
    »Ich bin krank«, sagte ich. »Geht ohne mich.«
    »Was für eine lächerliche Haltung«, schnaubte Armbruster. »Keiner von uns hat jetzt eine Kamera, aber deswegen lassen wir uns noch lange nicht die Lust am Leben vermiesen. Meinst du nicht, daß alles noch viel schlimmer hätte kommen können? Der Hopper hätte das Zelt mit uns zerquetschen können, aber er hat uns nur die Kameras genommen. Ohne Zweifel hat er nach dem Mann gesucht, von dem er annimmt, er sei der Gründer. Der Besitzer des Hoppers muß sich gesagt haben, daß auf den Filmen in deinen Kameras Moses Moses abgebildet sein dürfte. Wenn dieser Mann unser Gegner wäre, hätte er dem Hopper sicher den Befehl eingegeben, uns anzugreifen und zu vernichten. Da er das aber nicht getan hat, glaube ich, er steht auf unserer Seite. Vielleicht jemand aus deiner Bande, den Kogs. Ganz sicher aber jemand, der dir gut bekannt ist.«
    »Ihr versteht noch immer nicht!« sagte ich. »Meine Kameras sind fort. Der Hopper hat mich blind gemacht.« Meine Stimme krachte ganz

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