Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
ihre Fühler, reckte sich dann auf und hüpfte davon. »Wir können dort drinnen alle möglichen Insektenarten finden. Gottesanbeterinnen, Tausendfüßler, sogar Raubinsekten, denen es jedoch am Trieb fehlt, Beute zu machen. Denn das Töten ist hier überflüssig. Die Masse produziert Leben, das nicht befürchten muß, eines Tages zu sterben.«
    »Aber was passiert denn, wenn sie alle losgelassen werden?« sagte ich. »Hier gibt es weit und breit keine Nahrung für sie.«
    »Nun, wenn sie am Rand der Masse ›geboren‹ werden, können sie manchmal im benachbarten Ökosystem heimisch werden. Andernfalls ernähren sie sich vom Massematerial. Danach lösen sie sich allerdings auf. Wenn wir ein bißchen Glück haben, entdecken wir vielleicht ein Tier im Auflösungsprozeß. So etwas ist ein faszinierender Anblick. Oftmals tragen die Armbruster-Körper in ihnen den Samen anderer Lebensformen in sich. Wenn also der alte Gastkörper seinem Ende entgegengeht, bildet sich in seinem Gewebe spontan eine neue Lebensform, die an seine Stelle tritt. Dieser Prozeß ist nicht schmerzvoll. Zumindest macht er keineswegs einen solchen Eindruck.«
    »Ich kann es kaum noch abwarten«, sagte ich säuerlich. Restlos erschöpft sanken wir in Schlaf und wachten erst drei Stunden vor Sonnenuntergang wieder auf.
    Wir packten alles zusammen, kehrten zum Wasserfall zurück und liefen dann an einem Bach entlang. Im Wasser schwammen grüne Moosklumpen, kleine Fische und Krebstiere, die hin und wieder an Stücken der weißen Masse hingen, die von Nebenläufen und stehenden Gewässern in den Bach gelangt waren. Das fließende Wasser verteilte und zerstreute die Massestücke, aber über die Tümpel am Rand des Baches hatte sich eine dicke weiße Schicht gelegt. Die Pilzbeulen und -erhebungen an den Ufern des Baches waren voller von der Masse erzeugter Moose und Tang, wie Armbruster uns demonstrierte, als er einen der weißen Vorsprünge aufriß. Andere waren durch hinausdringende Tiere von innen heraus aufgerissen.
    Wir wateten durch den Bach und mühten uns lieber über glitschige, algenbewachsene Felsen, als mit der klebrigen Masse in Berührung zu kommen. Nur Armbruster hatte wie üblich keine Probleme mit den Wegverhältnissen. Er schwamm die ganze Zeit über und überließ es ganz allein Anna und mir, wie wir uns zurechtfanden. Pilzbögen spannten sich über den Wasserlauf und warfen Schatten auf die leichten Wellen, und immer wieder trafen wir auf Kiesinseln, kaum größer als ein dicker Stein, wo die Masse einen Brückenkopf gebildet hatte, von dessen Rändern ständig ganze Bündel von Flaum oder Fäden abrissen.
    Wann immer es mir möglich war, blieb ich stehen, um mir die Sporen und Fibern abzuwischen. Die Berührung des Armbruster-Körpers mit meiner Haut schien meine Milben verrückt zu machen. Bei ihnen handelte es sich nicht um auf dieser Welt heimische Organismen. Sie waren genetisch behandelt und speziell dazu gezüchtet worden, meinen Körper vor Infektionen zu bewahren. Die kleinen Tierchen verschlangen das Massematerial, wo immer es auf meine Haut traf. Sie arbeiteten wie besessen, und ihre Verdauungssäuren zerstörten den Armbruster-Körper. Jedenfalls hoffte ich das.
    Das Gewebe des Massematerials fühlte sich überraschenderweise nicht mal so unangenehm an. Die Spitzen der Erhebungen, die werdendes Leben enthielten, waren recht rauh, trocken und grobkörnig, in etwa mit Reptilleder zu vergleichen. Und auch die weißen Flocken, die Flaumbündel, mit denen die Masse überall auftrat, wiesen eine erstaunlich feine Gestaltung auf, wenn man sie sich aus nächster Nähe ansah: geisterhafte Umrisse von Blättern und Zweigen und pointillistische Tiersilhouetten. Dennoch berührte ich das Zeugs nur dann, wenn es unumgänglich war. Anna teilte meine Vorsicht, nur Armbruster scherte sich nicht darum.
    Unser stiller, durchwatbarer Bach endete am weißbemoosten Ufer eines Stroms. Die Sonne war schon halb hinter dem Horizont verschwunden, und so beschlossen wir, hier unser Nachtlager zu errichten; besser gesagt, wir legten uns in eine Art Nische im klumpigen, angeschwemmten Massematerial. Etwas anderes stand uns hier nicht als Unterschlupf zur Verfügung. Armbruster hatte zuerst vor, die Nacht im Fluß zu verbringen, entschied sich dann aber anders. Aus dem dunklen Wasser schoben sich plötzlich zwei Höhlen mit hervortretenden gelben Augen hervor, die irgendeinem amphibischen Behemoth gehören mußten. Die Augen hatten einen Durchmesser von

Weitere Kostenlose Bücher