Video-Kid
dir, oder meinst du deine Bandwürmer?«
»Ich denke, es macht Ihnen Spaß, die zu beleidigen, die Ihnen nichts getan haben«, meinte sie verärgert. »Leute solchen Schlages habe ich schon früher kennengelernt, und ihnen sind entsetzliche Dinge widerfahren.« Sie drehte den Kopf und rief über die Schulter in die Dunkelheit: »Kommen Sie heraus, Herr Pfingstkamm. Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Ich kenne diesen Mann.«
Ein Fremder marschierte vornehm aus der Dunkelheit. Er war ein kleiner Mann von meiner Größe, aber insgesamt etwas stämmiger, und er trug einen hübschen und wohlgepflegten, rotbraunen Bart. Gekleidet war er in ein historisches Kostüm, ein streng geschnittener, schwarzer Anzug mit weißen Nadelstreifen und im antiken Stil aus Fäden gewoben. Allerdings trug er keine Harlekinade-Maske.
Pfingstkamm setzte sich auf ein Trümmerstück am Rande der kleinen aufgeräumten Fläche. »Guten Abend, mein Herr«, sagte er höflich. »Ich scheine, äh, mich verlaufen zu haben. Dieses Trümmergelände hier ...« Er schwenkte vielsagend den Arm herum. »… Hat hier nicht einmal der Sitz des Präsidenten gestanden?«
»Ja, das stimmt«, antwortete ich. Aus irgendeinem Grund mochte ich diesen Mann von Anfang an. Freundlich sagte ich zu ihm: »Hören Sie, mein Herr, Sie wirken leicht verwirrt. Vielleicht stehen Sie unter dem Einfluß einer Droge. Daran ist ja nichts Schlimmes, wenn die ganze Stadt feiert und in der Zone Waffenstillstand herrscht. Aber leider, geht die Harlekinade eben zu Ende. Da sollten Sie sich nicht unbewaffnet in der Entkriminalisierten Zone aufhalten.«
»Vielen Dank für die Warnung«, sagte er. Einen langen Augenblick musterte er mich von Kopf bis Fuß. Pfingstkamms runden, kastanienroten Augen schien nichts zu entgehen. »Ich kann mir nicht helfen«, meinte er, »aber irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Dieses Gesicht und diese ausgesucht ansprechende Frisur habe ich schon gesehen. Verzeihen Sie mir bitte meine geistige Nachlässigkeit, aber mein Gedächtnisvermögen hat Schaden genommen. Ich vermute einen Kurzschluß im Computerspeicher. Kann es sein, daß ich Sie auf Band gesehen habe?«
»Ganz bestimmt«, sagte ich. »Sonderbarerweise wirken auch Sie mir nicht unbekannt, Herr Pfingstkamm.« Ich sah ihn mir genauer an. »Vielleicht liegt es an Ihrem Kostüm. Es sieht so aus wie die Anzüge, die die alten, die allerersten Direktoriumsmitglieder getragen haben.« Ich trat nahe an ihn heran und befühlte den Stoff am Ärmel. »Hm, ein bißchen hart ... und schwer ... Aber nichtsdestotrotz steht er Ihnen gut.« Ich trat wieder zurück. »Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Pfingstkamm. Sie scheinen mir ein Mann mit Substanz zu sein, jemand, mit dem man sich, im positiven Sinn, auseinandersetzen sollte. Daher bin ich mir sicher, daß Sie sich die Peinlichkeit ersparen möchten, in diesem Zustand von anderen erkannt und zum Gegenstand des allgemeinen Spotts zu werden.«
Pfingstkamm nickte eifrig. »Sehr richtig. Mit allem nötigen Respekt vor Fräulein Zwiegeborens Vorschlägen möchte ich doch lieber allen Verkehr mit der Polizei oder andere, äh, formelle Prozeduren vermeiden.«
Ich lächelte ihn freundlich an. Der Status des alten Mannes stand auf dem Spiel. »So etwas kann jedem in Ihrem Alter widerfahren«, sagte ich aufmunternd. »Was Sie benötigen, ist eine fachmännische und gleichzeitig diskrete Behandlung. Mein lieber Freund Münz-Scheinberg - Sie haben sicher schon von ihm gehört - kann Ihnen helfen, das Gedächtnis wiederzuerlangen und sich auch sonstwie wieder in Form zu bringen. Kosten brauchen Sie nicht zu befürchten, Herr Scheinberg ist die Großzügigkeit in Person.«
»Das ist wirklich ganz reizend von Ihnen, mein Herr.«
»Man nennt mich Video-Kid.«
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich heiße Amphinus Pfingstkamm.« Er streckte eine Hand aus. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, aber dann schüttelte ich sie. So etwas sieht man heute nur noch ganz selten. Pfingstkamm mußte schon sehr alt sein.
»Ich würde Sie ja gerne dorthin führen«, sagte ich, »aber leider habe ich momentan dringende Verpflichtungen. Ich könnte Sie auch zu mir schicken, aber mein Computer wehrt alle Fremden ab. Höre, Sanktanna, kann ich dir soweit vertrauen und dir die Parole sagen, mit der man ins Haus gelangt? Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache, denn man kann nie wissen, ob nicht gerade eine feindliche Kamera in der Nähe ist ... Ich hielt inne, als ich
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