Video-Kid
Er speichert alle Anliegen auf besonderen Bändern. Für jeden wäre es ein leichtes herauszufinden, wer etwas gegen die Kabale vorgebracht hat. Danach kann die Kabale den Betreffenden entweder mit Geld zum Schweigen bringen oder für ihn einen Unfall arrangieren - sofern sie es überhaupt für notwendig hält. Andererseits ist die Kabale sehr tolerant. Außer natürlich, jemand bedroht direkt ihre Existenz, wie wir zum Beispiel.«
»Macht es euch denn nichts aus, alle diese Freiheiten aufgegeben zu haben?« fragte Sanktanna.
»Freiheiten?« sagte ich. »Tod und Schmerzen, woher soll ich das denn wissen? Die Kabale regiert Träumerei nun seit dreihundert Jahren. Das ist länger als die Amtszeit des ehemaligen Direktoriums. Aber ich kann dir zumindest soviel sagen: Ich besitze vier Aktien. Wenn das alte Direktorium noch an der Macht wäre, dürfte ich damit keinen Beruf ergreifen. Und die Kampfkunst oder die Entkriminalisierte Zone hätte es beim alten Aufsichtsrat auch nie gegeben. Oder die Wettsklaverei, den Smuff, Bedienstetenverhältnisse, Pornobänder oder das Mäzenatentum.«
»Oder Vielgeschlechtlichkeit oder tiefgreifende chirurgische Veränderungen«, fügte Armitrage hinzu. »Verdammt, wir haben uns hier an die Kabale gewöhnt. Wie an ein Paar Schuhe, das man nicht mehr missen möchte.« Armitrage und ich versanken in dumpfes Grübeln, als uns beiden klar wurde, wieviel wir verloren hatten und wieviel wir im Fall unseres Überlebens noch verlieren würden. Moses Moses war zurückgekehrt, und seine Wiederkehr war dazu angelegt, in unserer Welt das Unterste zuoberst zu kehren.
Wir konnten jetzt ohnehin nichts mehr rückgängig machen. Selbst wenn Armitrage und ich Moses Moses niederschlagen und der Kabale als Gefangenen übergeben würden - ein wirklich abscheulicher Akt des Verrats -, war uns der Tod immer noch gewiß, denn wir wußten zuviel. Gar nicht zu reden von der Blutfehde. Ich hatte geschworen, Professor Angelhecht zu töten, als Rache für die Gehirnlöschung Quadras. Und das bedeutete nichts anderes als einen Krieg gegen ihn und die Kabale auf Leben und Tod. Jeder Feind der Kabale mußte unser Freund sein, und ihr größter Feind - Moses Moses - war unser bester und natürlichster Verbündeter. Armitrage und mir war das nur zu gut bewußt.
Wir sahen uns an. Unter seinem sanguinischen Äußeren war Armitrage ein grüblerischer und sensibler Mensch, und er schien rasch der Verzweiflung anheimzufallen. Um ihn etwas aufzumuntern, sagte ich: »Sieh es doch mal so, Armi. Wenn die Kabale uns tötet, dann ist damit der Fall erledigt, aus und vorbei. Wir sind tot, und man weint uns sicher nicht lange nach. Davon abgesehen muß jeder sterben. Aber wenn wir überleben, sind wir die Helden unseres Zeitalters. Unser Ruhm wird grenzenlos sein. Wir haben dann den Gipfel unserer Karriere erreicht. Der Sieg über die Kabale übersteigt alles, was wir je zuvor getan und arrangiert haben. Und denk nur daran, daß wir über unsere Kameras alles aufnehmen.« Ich zeigte auf seine Kameras. Er hatte vier von ihnen dabei, große, schwere Kästen, jeweils mit drei Linsen und Audio-Receivern versehen.
»Du hast recht«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe für etwa zwei Monate Band dabei. Außerdem könnte ich jederzeit zurück und das löschen, was ich schon aufgenommen habe. Meist handelt es sich dabei doch nur um private Erinnerungen, Pornoaufnahmen von mir und ähnliches. Auch ein paar ganz gute Kämpfe sind dabei; aber, wie du schon gesagt hast, sie sind nichts im Vergleich zu dem, was uns jetzt bevorsteht. Eigentlich haben wir noch richtiges Glück gehabt, befinden wir uns doch in einer privilegierten Situation. Ich wünschte mir nur, man hätte mich vorher gewarnt. Dann hätte ich den Computer einschalten und alles noch besser arrangieren können.« Er sah launisch zu seinen Kameras hoch, bevor er in eine ausgebeulte Tasche seines Kampfanzuges griff und seinen Kamm herausholte. Er schaltete ihn mit einem Flickern seines Daumennagels ein und fing an, sich das sorgfältig gepflegte, lange schwarze Haar mit geübten und lockeren Bewegungen des Handgelenks zu kämmen.
Armitrage war ein beeindruckend gutaussehender Mann mit seinen klaren, seegrünen Augen, seiner milchweißen Haut, seiner geraden, chirurgisch geformten Nase (mehrmals beim Kampf gebrochen), seinen vollen Lippen und seinem bartlosen Gesicht. Aber er war absolut nicht eitel. Was andere vielleicht bei ihm für Eitelkeit halten würden, war nichts
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