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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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lassen. Deren Begierde nach Kapital war schier unerschöpflich, und verdammt noch mal, wir haben nicht mehr und nicht weniger getan, als ihr den Planeten abzukaufen oder zumindest das Anrecht auf einen Planeten. Mein Plan ging auf. Das lange Fegefeuer auf den Eininseln machte aus meinen Niwlindern ein eigenes Volk mit eigenen Bräuchen, eigenem Stil und eigener Gedankenwelt. Das Leben in den Eininseln war zu Anfang bedrückend und hart, trotz aller Legenden, die darüber erzählt werden. Glaubt es mir, ich war dabei, ich weiß es besser. Niwlind schickte uns nur widerwillig Nachschub, um es noch positiv auszudrücken. Unter uns waren keine Experten für diese Arbeiten, und regelmäßig begingen wir Fehler. Bei jedem dieser Fehler verloren Menschen ihr Leben. Ein Lebenserhaltungssystem ist auf seine Weise gnadenlos. Es gehorcht nur den Gesetzen der Mechanik, weiß aber nichts von Schmerzen. Aber wir lernten rasch; denn wir mußten lernen, wenn wir nicht das Leben verlieren wollten. Wir gingen durch das Fegefeuer, und die, die es nicht umbrachte, härtete es ab. Es machte uns zu dem, was wir geworden sind. Es machte auch euch zu dem, was ihr heute seid.
    Als ich zweihunderteinundzwanzig war, kam es in meiner Eininsel, die natürlich gleichzeitig Sitz unserer Verwaltung war, zu einem folgenschweren Unfall. Das ganze ging von einer neuentwickelten Drohne aus, die wir noch nicht auf dem Morgenstern abgesetzt hatten. Sie umkreiste die Eininsel, und an einem Tag kam es zu einer Fehlfunktion ihres Lasersystems. Ein Laserstrahl fuhr direkt durch die Außenwand der Eininsel, und zwar unweit der Stelle, an der ich gerade eine Rede hielt. Das war kein Attentat, wie manche es hingestellt haben, sondern schlicht ein dramatischer Unfall. Meine arme Sekretärin, Frau Handler, wurde auf der Stelle getötet, und die Schreie der anderen Anwesenden gingen im Getöse der Dekompression unter. Ich sah mich um und erblickte durch ein Loch in der Wand das All. Der Ausschnitt hatte einen Durchmesser von etwa fünfundzwanzig Zentimetern. Natürlich hätte es Wochen gebraucht, um die Luft aus der ganzen Eininsel entweichen zu lassen, aber mein erster Gedanke galt natürlich der Sicherheit meiner Zuhörer, die in wilder Panik durcheinanderrannten und übereinander fielen. Ich darf hinzufügen, daß wir in den Eininseln über Schwerkraft verfügten; dafür hatten wir gesorgt, denn Träumerei sollte unsere Heimat sein. Die Eininseln mit der Null-Schwerkraft wurden erst später eingeführt ... aber ich schweife wohl ab.
    Um es kurz zu machen: Ich erkannte die Panik, hörte das entsetzliche Getöse, sah, wie die Dekompression Stühle, Papiere und sogar das Podium mitriß, und handelte sofort. Ich warf mich vor das Loch und schloß es mit meiner Brust. Natürlich verlor ich augenblicklich das Bewußtsein. Mein letzter Gedanke war der, daß ich nun tot sei, denn ich hatte für die anderen mein Leben geopfert. Aber ich war nicht tot.
    Alles hätte sich wohl etwas anders entwickelt, wenn ich wirklich den Märtyrertod gestorben wäre. Mein Plan hätte sich dann vielleicht etwas weiter entwickelt. Die Macht eines Menschen reicht weit über seinen Tod hinaus, wird dann erst besonders stark. Aber ich war ja nicht tot, und sie haben mich geheilt. Sie brauchten einige Zeit, um meinen Körper wieder aufzubauen, aber es ist ihnen gelungen, weil sie mich liebten. Aber als ich die Augen öffnete, war ich nicht mehr Moses Moses.«
    Er seufzte. Wir sahen, wie ein Blitz aus einer weit entfernten Kumuluswolke fuhr. Moses Moses' rotbraunes Haar war getrocknet, stand aber durch das Salz ab. Die Haut an unsern Händen war runzlig und hatte soviel Wasser eingesogen wie Gemüse in einem Eintopf. Es war kurz vor Mittag, und der Glanz auf dem Meer blendete uns.
    »Natürlich habe ich den Namen beibehalten«, fuhr Moses Moses fort. »Ich habe ihn nie mehr geändert. Aber ich hatte die alte Inspiration nicht mehr; das Feuer der Besessenheit in mir war erloschen. Ich kannte meine Rolle, und ich spielte sie weiter, aber ich verkörperte sie nur noch als Schauspieler, lebte sie nicht mehr. Und irgendwie hat mein Volk das gespürt. Ich weiß es genau. Niemand hat es je ausgesprochen, und vielleicht ist es ihnen auch nie so richtig bewußt geworden. Das Leben ging normal weiter, aber ihm fehlte der Glanz der Begeisterung, so als sei es vergiftet, als hätten wir seit einiger Zeit den Höhepunkt überschritten. Ja, es war eine Art Wendepunkt. Danach begann Fäulnis sich in meine

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