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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Freunde, keine Laster und keine Hobbys. Ich verbrachte alle Freizeit damit, Fachliteratur zu lesen. Das brachte mir eine steile Karriere ein. Nicht lange darauf stand nur noch ein Mann zwischen mir und dem Geschäftsführer des Unternehmens. Als ich meine Gelegenheit kommen sah, habe ich ihn ohne zu zögern kompromittiert und damit seine Karriere ruiniert. An der Spitze angelangt, habe ich die Firma durch Fehlentscheidungen und Veruntreuungen an den Rand des Ruins getrieben und sie dann für ein Vielfaches ihres Werts an eine Frau verkauft, die ich mir durch Erpressung gefügig gemacht hatte. Fünfundvierzig war ich zu jenem Zeitpunkt; ein alter, reicher und verrückter Mann.
    Ja, ich war wirklich verrückt, im wortwörtlichen und im klinischen Sinn. Ich hörte Stimmen, spürte, wie mir die Glieder vom Körper fielen, und war felsenfest davon überzeugt, hinter jeder Ecke von einem meiner zahlreichen Feinde überfallen zu werden.
    Ich vergrößerte meinen Reichtum, war aber so entsetzlich paranoid geworden, daß ich den Anblick und den Geruch eines anderen Menschen nicht mehr ertragen konnte. Ich floh in ein sehr entlegenes Gebiet am vereisten Pol von Niwlind, der weitestentfernte Ort, den ich mir vorstellen konnte. Du, Kid, hast wahrscheinlich noch nie Eis in solchen Mengen gesehen. Der Pol ist ein furchtbarer und unfreundlicher Ort, aber er hat seine eigene, befremdliche Schönheit. Ich bezahlte viel Geld für ein sicheres, sich selbst versorgendes Fertighaus, das ich ganz allein dort aufgebaut habe, nur mit meinen Händen und zwei primitiven Konstruktionsdrohnen.
    Zwei Jahre lang habe ich dort gelebt und machte während dieser Zeit eine traumatische Persönlichkeitsveränderung durch. Ich nahm einen anderen Namen an und kehrte dann mit einer wiederhergestellten geistigen Gesundheit, aber dem ungebrochenen Wunsch nach Erneuerung, in die Konsularbibliothek zurück.
    Ich suchte dort nach Möglichkeiten, eine neue Gesellschaft am Reißbrett zu konstruieren. Nun, ich fand zahlreiche Modelle, aber fast alle waren auf höchst klägliche Weise gescheitert. Das Hauptproblem bestand darin, daß man nicht mit einem neuen Menschentyp beginnen konnte. Diejenigen, die in eine neue Gesellschaft gingen, erlebten nach einiger Zeit stets so etwas wie einen kulturellen Kater und weinten ihrem Herkunftsort Tränen nach.
    Als schlimmste Fehlschläge erwiesen sich die neuen Gesellschaften, die auf einer Religion oder auf hehren moralischen Werten basierten. Ich beschloß daher, meine Gesellschaft auf das Eigeninteresse zu begründen. Dann suchte ich nach einer geeigneten Struktur für dieses Modell und fand es in der der Aktiengesellschaft. Jeder Bürger sollte Anteilseigner sein, damit jedermann in gleicher Weise vom erwirtschafteten Ertrag und Gewinn profitieren konnte.
    Da die Arbeit mich in den Wahnsinn getrieben hatte, entschied ich, daß sie in meiner Gesellschaft nicht mehr vorkommen dürfe. Ich suchte also nach einer Möglichkeit, rasch viel Geld zu machen, um die Kapitalgrundlage für das Einkommen einer ganzen Gesellschaft zur Verfügung zu haben. Ihr beiden wißt natürlich, was ich bei dieser Suche gefunden habe.« Er zeigte in den Himmel. »Den Morgenstern.«
    Er legte eine Pause ein, während Anna und ich untertauchten, um mehr Luft in die Hose zu blasen, die bedenklich flach geworden war.
    »Damals war ich fünfzig, also immer noch ein ziemlich junger Mann. Natürlich war ich ausgereift und galt als erwachsen. Als ich sechzig war, hatte ich mich beim Generalkonsul der Konföderation eingeschmeichelt und die Stellung seines Oberarchivars erhalten. Dabei lernte ich auch das Werk Rileys kennen. Ich ließ seine Bücher übersetzen und verlegte sie auf meine Kosten. Sie wurden rund um den Planeten zu einer Sensation. Ich war danach nicht nur reicher als je zuvor, sondern auch berühmt. Die üblichen Versuchungen des Ruhms näherten sich mir von ganz allein, aber ich widerstand ihnen allen. Statt dessen legte ich mir ein sorgfältig ausgeklügeltes Image von Bescheidenheit und sozialem Engagement zu. Ich wußte, daß mir ein solcher Ruf nur nützlich sein konnte, wenn ich meinen wahnwitzigen Plan der Öffentlichkeit vorführte.
    Während der nächsten vierzig Jahre legte ich den Grundstein für mein Vorhaben, hielt es aber vor jedermann geheim. Man bot mir einen lukrativen Posten in der Regierung an, aber ich lehnte ab. Das elektrisierte die öffentliche Meinung. Als man von mir wissen wollte, warum ich nicht angenommen hatte,

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