Video-Kid
Gesicht vor dem Sonnenlicht schützte und ihr Hinterkopf gleichfalls bedeckt war. »Vielen Dank, Kid«, sagte sie. »Ich will gut darauf aufpassen.« Sie schien froh zu sein, daß ich sie nicht wieder verspottet hatte. Ihre Dankbarkeit beschämte mich. Ich griff zurückhaltend in die Jacke und justierte die Kontrollen so, daß die Kameras mir folgten und nicht mehr der Jacke. Schließlich brauchte ich die beruhigende Anwesenheit ihrer aufmerksamen Linsen, wenn ich Anna und Moses meine Geschichte erzählen wollte.
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»Ich bin überzeugt, es wird Sie nicht überraschen, Herr Präsident, wenn Sie erfahren, daß ich Rominuald Tanglin bin. Besser gesagt, ich war einmal Rominuald Tanglin. Unsere Verbindung ist von recht eigener Art und so selten, daß sich kaum ein Begriff zu ihrer Benennung finden läßt. Wie dem auch sei, der Erste Sekretär Tanglin unterzog sich einer begrenzten Persönlichkeitsspaltung, und seitdem bewohne ich seinen Körper. Man mag mich seinen Sohn heißen, seinen Klon, seinen Nachfolger oder was immer einem sonst dafür passend erscheint.
Dies hat sich vor achtundzwanzig Jahren vollzogen, und so kann man mit einer gewissen Berechtigung sagen, dies ist mein Alter. Damit wäre ich auch mit Abstand der Jüngste von uns dreien, und ich verfüge durchaus über den Geschmack und die Vorlieben der Jugend - nun ja, zumindest über einen Großteil davon. Ich weise auch das auf, was die Alten als die Laster der Jugend bezeichnen: Ungeduld, Ungestümheit, Sorglosigkeit und Grausamkeit. Ohne Zweifel könnten Sie diese Liste noch um einiges ergänzen, Anna. Man hat sie mir oft genug vorgeworfen. Hauptsächlich natürlich von den Alten kamen die Beschwerden, von eben den Alten, die über die Vorstellung geifern, ein junger Mann wolle lieber seinen eigenen Zielen folgen als ihren versteinerten Idealen. Da die Alten die Jungen jeglicher Möglichkeit beraubt haben, in dieser Welt etwas zu erreichen, haben wir uns unsere eigenen Wege gesucht. Was sollte daran so verwerflich sein? Und selbst wenn dem so wäre, wer wollte mich aufhalten? Ich verfüge über Kampfkraft und Vitalität. Sie erkennen, daß ich nicht die Geduld zu einer langwierigen Argumentation aufzubringen bereit bin, denn Worte sind die Leimruten der Alten. Die Alten stecken bis zum Hals im Schlamm ihres nahe gekommenen Todes, und sie richten ihr ganzes Streben darauf, die Jungen mit in diesen Sumpf zu locken ...« Meine Stimme erstarb, und ich schüttelte voller Enttäuschung den Kopf. Lange Reden waren mir wesensfremd. Ich teilte Rominuald Tanglins Zweifel an gewundenen und gestelzten Ansprachen. Meine Stärke lag im Austausch verletzender Beleidigungen, denen wütende Kampfschreie und das Krachen des Aufpralls zweier Körper folgten. Ich war weder Redner noch Politiker. Ich zog es vor, meinen Standpunkt auf schlagkräftigere Weise zu vertreten.
»Eines Tages bist du selbst alt«, sagte Anna. »Oder du wärst es eines Tages geworden.«
»Ich war alt! Und ich habe gesehen, wie es mir dann ergeht, nein, wie es mir ergangen ist.« Ich sah die beiden mißtrauisch an. »Er hat den Verstand verloren. Wahrscheinlich denkt ihr jetzt, daß ich befürchte, mir würde es genauso ergehen, daß ich mich vor dem Alter fürchte, weil ich die Schwächen Tanglins kenne. Aber dem ist nicht so! Ich bin von Tanglin unabhängig, vollkommen unabhängig, das kann ich euch versichern. Ich teile weder seine Laster, noch seine Schwäche oder seinen Wahn. Natürlich bin ich ihm nie in der Realität begegnet, aber er hat mir eine ziemlich große Sammlung von Bändern hinterlassen. Auf denen habe ich ihn von seiner schlimmsten Seite kennengelernt und kenne ihn jetzt sehr gut. Sein letzter Anfall äußerte sich in einem abartigen Verfolgungswahn. Tanglin behauptete, die Menschheit würde von furchtbaren Aliens dezimiert, die sich in bestimmte Personen verwandeln und ständig darauf aus sind, uns die Lebenskraft zu rauben. Sauger, so hat er sie genannt, aber ich will euch nicht mit den Einzelheiten langweilen.
Ich bin als Erwachsener zur Welt gekommen, müßt ihr wissen. Ich wurde in einen Erwachsenenkörper hineingeboren. Als ich das Licht der Welt erblickte, konnte ich schon sprechen; ich hatte Grundkenntnisse in Verhaltensnormen, Tischsitten und Körperpflege; ich konnte gehen, rennen und schwimmen. Ich war in der Lage, einen Computer zu bedienen. Im Grunde bin ich nie ein Kind gewesen. Vermutlich habe ich mich daher auch dafür entschieden, in einem künstlich auf Kind
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