Video-Kid
freundlich zu ihr zu sein. »Anna, es tut mir leid«, sagte ich. »Von nun an bis zum Ende will ich dein Freund sein, das schwöre ich.«
»Mir tut es auch leid«, sagte sie. »Ich habe kein Recht, so über dich zu urteilen. Wahrscheinlich bin ich doch eine Närrin. Eine dumme Kuh.« Sie schüttelte traurig den Kopf.
»Sagt nicht solche Worte«, mahnte Moses freundlich. »Es liegt keine Sünde darin, jung zu sein. Das widerfährt uns allen einmal.« Er lächelte mir zu. »Manchen sogar zweimal.«
Wir hörten ein plätscherndes Geräusch, drehten uns um und sahen eine große Fischschule, die auf uns zu schwamm. Immer wieder sprangen Tiere aus dem Wasser und flogen durch die Luft. Es handelte sich dabei um Blaufische, etwa unterarmlange, sich elegant bewegende Wesen mit einem gelben Rücken. Als sie näher kamen, entdeckten wir, daß wir einen riesigen Schwarm vor uns hatten: Dutzende flogen über dem Wasser, und Hunderte, wenn nicht Tausende schwammen in einer glitzernden Phalanx unter der Oberfläche.
»Werden sie uns angreifen?« fragte Anna. »Was sollen wir tun?«
»Nein, sie tun uns nichts«, sagte ich. »Es sind nur Blaufische. Vermutlich auf dem Laichzug.«
»Für mich hat es eher den Anschein, als seien sie vor etwas auf der Flucht«, bemerkte Moses Moses. Die Fischschule kam aus dem Norden. Die Strömung trieb uns genau auf sie zu.
»Es ist soweit!« rief ich. Von einem Moment auf den anderen steckten wir mittendrin in dem Schwarm. Ein Fisch sprang nahe an mir vorbei und berührte mein Haar, als ich mich duckte. Ich spürte, wie Flossen und schuppige Seiten rasch über meine nackten Beine strichen. Anna kreischte. Die Tiere gaben sich keine erkennbare Mühe, uns aus dem Weg zu gehen, und ihre harmlosen Intimitäten riefen bei uns eine Verlegenheit und eine mäßige Art von Widerwillen hervor, die uns zum Lachen brachte. Nach einer halben Minute hatte der Schwarm uns passiert, alles war vorüber.
»Ich frage mich, was das zu bedeuten hatte?« sagte Anna.
»Das weiß ich auch nicht, aber wenigstens haben sie uns etwas zum Dinner zurückgelassen«, sagte Moses gleichmütig. Er hielt einen großen Blaufisch hoch, den er wohl irgendwie mit bloßen Händen gefangen hatte. Das Tier wand sich immer noch ein wenig.
»Urrgh«, machte Anna. »Erwartest du, daß wir rohen Fisch essen? Mein Stück kannst du gern haben. Da bleibe ich lieber hungrig.«
»Wie sollen wir ihn ausnehmen?« sagte ich. »Wir haben ja nicht mal ein Messer.«
»Und das Blut lockt bestimmt Rochen an«, erklärte Anna mit Realitätsgespür. »Am besten läßt du den armen Teufel frei.«
»Ihn freilassen?« sagte Moses indigniert. Mir entging nicht, daß er wieder in seine alte Rolle geschlüpft war, und das befriedigte mich; denn seine Offenheit hatte mich stark verunsichert. »Nach all der Mühe, die es mich gekostet hat, ihn zu fangen! Ich für meinen Teil habe Durst, ihr etwa nicht? Das Meerwasser ist zum Trinken viel zu salzig, aber die Säfte dieses Fischs dürften …«
»Tod und Schmerzen, seht euch das an!« rief ich. Etwas Neues näherte sich uns aus dem Norden. Es trieb unter der Wasseroberfläche, fünf bis zehn Meter tief, gerade an der Grenze, noch erkennbar zu sein. Aber es war gewaltig. Aufgrund der Entfernung konnte man seine genauen Ausmaße kaum erkennen, aber es hatte einen Durchmesser von mindestens fünfzehn Metern, darauf hätte ich schwören können; das können auch die Kameras bestätigen. Sie zeigen, daß es sich dabei um ein längliches, schwarzes Oval handelte, und man gewinnt bei den Bildern den Eindruck, daß es sich wellenförmig bewegte. Wir drängten uns in wortloser Angst aneinander. Es schien eine Ewigkeit zu währen, bis es unter uns hindurchgezogen war. Danach spürten wir die Kälte einer eisigen Aufwärtsströmung.
Eine halbe Minute verstrich, bevor der erste von uns seine Sprache wiedergefunden hatte. »Was war denn das?« sagte Anna. Moses und ich schüttelten den Kopf. Es war uns unmöglich, darauf eine Antwort zu geben. Die ruhigen Meere von Träumerei bergen viele Geheimnisse in sich. »Ich habe meinen Fisch verloren«, rief Moses betrübt.
Der Nachmittag verstrich sehr langsam, und die Langeweile ergriff von uns Besitz. Moses Moses hatte einiges an Schlaf nachzuholen. Wir legten ihn mit dem Kopf mitten auf das Luftkissen und ließen ihn schlafen, während wir in Rückenlage weiter durch das Wasser trieben. Ich befreite mich von meinen Schuhen, behielt aber den Nunchuck. Ich hätte es nicht
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