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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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leicht zerstören und in einen zweiten Rominuald Tanglin verwandeln können. Aber es ließ mich meinen eigenen Weg gehen, und zwar in meinem Tempo. Und es hat mir die Last des Sex genommen. Der Sex hat Tanglin zerstört und aus ihm den Gimpel seiner Frau gemacht. Ich weiß mein Leben besser zu führen. Ich habe keine Frau und keine Geliebten ...« Beim letzten Wort mußte ich schlucken, als mir Armitrages letzte Liebeserklärung unweigerlich in den Sinn kam. Bislang hatte ich noch keine Zeit gefunden, darüber nachzudenken. Die Erinnerung traf mich wie ein Tritt in die Magengrube.
    »Er hat dich geliebt«, sagte Moses Moses. Anna wirkte verwirrt. »Warst du denn so nahe, daß du alles mitbekommen hast?«
    »Nein«, sagte Moses. »Aber ich habe es sofort daran erkannt, wie er dich angesehen hat. Und diese Frau in deiner Wohnung, die große, zarte - die, die die Kabale ermordet hat ...«
    »Quadra Altmann.«
    »Ja, Quadra, sie hat dich auch geliebt.«
    »Nein«, widersprach ich, »davon hat sie nie etwas gesagt. Quadra wußte doch, wie unmöglich so etwas sein mußte. Sie war loyal, das ist schon das ganze Geheimnis; loyal und starrköpfig.«
    Moses lächelte ironisch über meine Naivität. »Glaubst du, Kid, sie hätte die Foltern der Kabale nur deswegen ertragen, weil sie starrköpfig war? Bist du wirklich dieser Ansicht? Oder hast du nicht vielmehr seit langem gewußt, daß sie dich liebte?
    Hast du nie bemerkt, wie sie sich danach sehnte, dich zu berühren, von dir in den Arm genommen zu werden, deine Wunden zu pflegen?« Ich riß den Kopf hoch und sah ihn an. Unsere Blicke hielten sich in Bann. Seine alten gelben Augen durchbohrten mich mit ihrer Intensität, und er schien die Gedanken aus meinem Kopf zu saugen. »Aha, jetzt erinnerst du dich«, sagte er sanft. »Jetzt wird dir wieder bewußt, wie sie dich umsorgt, wie sie sich für dich abgerackert hat, wie sie dir jeden noch so abstrusen Wunsch von den Augen abgelesen hat. Und wie hast du darauf reagiert, Kid?« Moses nickte mehrere Male und leckte sich die Unterlippe. »Doch, du hast gewußt, daß sie dich liebt. Du wußtest, wie sehr sie sich nach deiner Umarmung verzehrte, aber du hast dich nur wie ein Pascha von ihr bedienen lassen. Hin und wieder hast du ihr wie Brocken vom Tisch winzige Anzeichen der Zuneigung hingeworfen, hast sie verlegen gemacht, hast ihr Hoffnung gemacht. Ihr Herz hast du erobert, aber dein eigenes hast du eiskalt und verschlossen gehalten. Genauso, wie Tanglin es mit diesem armen Mädchen hier gemacht hat.« Er zeigte mit einem runzligen Finger auf Sanktanna.
    Verletzt empörte sich Anna: »Nein, davon hast du nicht die Spur einer Ahnung. Wie kannst du so etwas behaupten, wo du doch gar nicht dabei warst?«
    Moses Moses sah sie mit all seiner beruhigenden Ausstrahlung an, und Anna senkte sofort den Blick. Am liebsten hätte sie sich wohl irgendwo verkrochen. Mich schauderte, wie Moses die Maske fallengelassen hatte und uns jetzt auf den Zahn fühlte, uns nichts ersparte. Die Alten haben unglaubliche Macht, und sie sehen zuviel. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie dem Wahnsinn verfallen. »Ich kann eins und eins zusammenzählen«, sagte Moses freundlich. »Es steckt schon etwas dahinter, wenn wir von den Jungen sagen, sie seien grausam. Natürlich sind auch die Alten nicht immer frei von Grausamkeit, besonders, wenn sie den Verstand verlieren oder verzweifelt ihr Leben erhalten möchten. Aber bei den Jungen gehört es zu den Charaktereigenschaften, wie bei jungen Bäumen, die wachsen, sich ausbreiten und ihre Brüder verdrängen. In der Jugend bereitet man Schmerz, weil man noch nicht weiß, was man damit anrichten kann, weil man viel zu sehr auf sich selbst fixiert ist. Die Jungen haben die Mäßigung, den Selbstzweifel noch nicht entwickelt, der alles Vergnügen vergiftet; sie haben noch nicht das Wissen um die eigenen Schwächen. Und wenn man beginnt, dieses Wissen zu erwerben, blickt man auf seine Jugend zurück und entdeckt, wieviel Schmerz man hervorgerufen hat. Doch ein Trost bleibt«, sagte er und lächelte sonderbar, »die, die jung sterben, trifft diese Erkenntnis nicht. Ihr beide dürft euch also glücklich schätzen.«
    Nach diesen Worten war nicht mehr viel zu sagen. Anna und ich tauschten Blicke aus, und wir entdeckten jeweils beim anderen die Vorsicht und die Angst, die der alte Mann in uns erweckt hatte. Zum ersten Mal erschien mir Anna als warmes und menschliches Wesen. Ich spürte den starken Drang in mir,

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