Viel Laerm um Stratfield
ihrem Zimmer. „Himmel, was für ein Gedanke."
Was Chloe anging, so glaubte sie nicht an Geister. Zumindest hatte sie das bis letzte Woche nicht getan, als sie aus ihrem Schlafzimmer geblickt und eine einsame männliche Gestalt gesehen hatte, die mitten in der Nacht am Rande des verlassenen Anwesens von Stratfield stand.
War es Stratfields ruheloser Geist gewesen oder sein menschlicher Cousin, der das Anwesen geerbt hatte? Seltsamerweise hatte die Erscheinung bei ihr eher ein Gefühl der Traurigkeit verursacht als Angst. Dieser Geist hatte eine melancholische Ausstrahlung, wenn er denn wirklich ein Geist war. Zu dem Zeitpunkt war der Viscount gerade etwas über zwei Wochen tot gewesen. Während ihrer ersten Tage in Sussex war Chloe dem Mann aus Fleisch und Blut ein einziges Mal begegnet, diese Erfahrung hätte man durchaus als beunruhigend bezeichnen können.
Sie war auf dem Heimweg vom Apotheker, wo sie eine Besorgung für ihre Tante gemacht hatte, in einen starken Regenschauer geraten. Der Lakai, der sie begleitet hatte, war nach Hause gerannt, um einen Regenschirm zu holen.
Stratfield war auf seinem Hengst über das Feld galoppiert wie Sir Galahad auf dem Weg in eine Schlacht. Obwohl sie in einer Familie voller Männer aufgewachsen war, die alle ausgezeichnete Sportler waren, und obwohl sie selbst eine hervorragende Reiterin war, hatte sein Anblick Chloe doch so beeindruckt, dass sie bis zu den Knöcheln in eine schlammige Pfütze gestiegen war, um diese männliche Erscheinung besser sehen zu können. Unglücklicherweise schien sie ihn nicht annähernd so stark zu beeindrucken.
Bevor sie auch nur ihren Mantel hatte ausschütteln können, hatte er sein Pferd schon herumgerissen, um sie mit offenkundiger Missbilligung in seinen kalten eisengrauen Augen zu umkreisen. Chloe fand keine Worte, was für sie äußerst ungewöhnlich war. Allem Anschein nach war er nicht so leicht zu beeindrucken wie sie.
Der gleichmäßige Regenfall bildete einen Schleier zwischen ihnen und ließ ihn wie einen Mann wirken, der nicht ganz von dieser Welt war.
All die interessanten Kanten und Flächen seines männlichen Gesichtes hatten sich zu einem belustigten Grinsen geformt, als er ihren durchnässten Zustand begutachtet hatte. Er sah nicht perfekt aus, aber irgendwie bezwingend. Sein Gesicht war wahrscheinlich das unvergesslichste, das Chloe je gesehen hatte, mit diesem Grübchen im Kinn und jenen vernichtenden, dunklen Augenbrauen unter der amüsiert gerunzelten Stirn.
„Nun, kommen Sie hinauf." Er hatte seine lederbehandschuhte Hand ausgestreckt. Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Er war nicht direkt unhöflich, aber eben auch nicht gerade der Held in strahlender Rüstung. Chloe hatte das Gefühl, als schenke er ihr nur widerwillig seine Aufmerksamkeit, als hätte sie ihn mitten in einer wichtigen Mission aufgehalten und als schätze er diese Unterbrechung nicht.
Sie blickte angewidert auf ihre schlammigen Stiefeletten hinunter und erinnerte sich wehmütig an all die Gesellschaften und Soireen, die sie in London zurückgelassen hatte.
„Beeilen Sie sich", fuhr er fort und wischte sich mit der Hand über die nasse Wange.
„Aber ich weiß nicht..."
„Steigen Sie auf, bevor wir beide nass bis auf die Knochen sind, junge Dame. Wir sind hier auf dem Land und nicht bei Hof."
Chloe war wütend, aber das Lächeln, das in seinen Augen lag, nahm seinem Befehl die Schärfe. Dadurch, dass sie gemeinsam mit fünf frechen Brüdern aufgewachsen war, hatte sie aufgehört, übertrieben empfindlich zu sein. Frösche, Spucke, geschmacklose Witze - Chloe und ihre ältere Schwester Emma waren schon früh dagegen abgehärtet worden, leicht beleidigt zu sein.
Dennoch sollte man wenigstens etwas Anstand wahren, ob es nun regnete oder nicht, selbst wenn man die junge Tochter eines Marquess war, die sich kurz vor ihrem gesellschaftlichen Ruin befand. Außerdem war dieser Sir Galahad so von sich selbst überzeugt, dass es ihm ganz guttun würde, daran erinnert zu werden, was gute Manieren waren.
„Sagen Sie mir wenigstens Ihren Namen, Sir", forderte sie ihn auf. Der Regen kühlte die unerklärliche Hitze, die ihr in die Wangen stieg.
Er lehnte sich über den Sattelknauf vor, die Lippen zu einem dünnen Lächeln verzogen. „Ich bin der Besitzer des Landes, in dem Sie gerade versinken und das Sie im Übrigen unerlaubt betreten haben. Während eines Gewitters. In einem hübschen Seidenkleid. Steigen Sie nun auf oder nicht, jetzt, wo
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