Viele Mütter heißen Anita
grünen Flächen des Gartens begannen.
Er wollte gerade die Handschuhe anziehen, denn es war eine Angewohnheit von Prof. Dalias, beim Fahren immer Handschuhe zu tragen, als sich das Fenster des untersten Balkons öffnete und ein Diener heraustrat.
»Herr Professor!« rief er erregt. »Herr Professor! Telefon! Die Klinik!« Dalias wurde blaß. Er beugte sich aus dem heruntergelassenen Fenster des Wagens und starrte nach oben.
»Was ist denn?« rief er mit bebender Stimme.
»Doktor Albanez hat angerufen! In einer Viertelstunde beginnen Sie mit dem Eingriff. Professor Moratalla lädt Sie ein, zuzusehen.«
Dalias blickte auf die Uhr am Armaturenbrett seines Wagens. Die Verantwortung, die dieser Anruf für ihn brachte, erschütterte ihn. Moratalla wollte operieren unter den Augen des Gesetzes. Er mußte seiner Sache sicher sein, er mußte dieses einmalige Wagnis gewinnen, wenn er Dalias einlud. Und wenn es mißlang, war er der Mitschuldige, weil er es nicht verhindert hatte, als noch Zeit war.
Dalias beugte sich wieder vor. »Sagen Sie Doktor Albanez, ich hätte keine Zeit. Ich käme später vorbei. Und –«, er stockte – »ich wünsche Professor Moratalla viel, viel Glück.« Er winkte ab. »Nein – sagen Sie das nicht. Sagen Sie einfach: Ich will davon überhaupt nichts mehr wissen …«
Damit drückte er auf den Starterknopf, der Motor brummte auf und der große Wagen rollte über den Weg hinaus auf die stille Vorstadtstraße.
Ich bin feig, dachte Dalias, als er durch die grelle Sonne fuhr. Sie blendete ihn ein wenig, und er klappte den Blendschutz vor die Augen. Ich bin wirklich ein erbärmlicher Feigling, den Freund in dieser Stunde allein zu lassen. Pfui Teufel, wie schwach wir Menschen doch sind …
Er schaltete um und drückte auf das Gaspedal.
Der Wagen schoß vorwärts und heulte auf.
Prof. Dalias schämte sich.
Samstag, den 29. Oktober 1952.
Elf Uhr fünfzehn vormittags.
In Saal IV knisterten die Gummisohlen der Ärzte und Schwestern. Die weißen Mäntel wehten leicht, die langen Gummischürzen knirschten bei jeder Bewegung.
Es war warm. Von draußen durch die milchigen riesigen Fenster drang die Sonne, von der Decke brannten die großen Scheinwerfer auf die beiden Operationstische und die schmalen, langen Instrumententische, über die gewärmte, sterile Tücher gebreitet waren.
Noch einmal ordneten die Oberschwester und die Operationsschwester die Instrumente. Skalpelle, Venenklemmen, elektrische Rundsäge, gebogene Nadeln und die sterilen Behälter der Seide und des Catguts wurden noch einmal überprüft und griffbereit gerückt. Am Narkoseapparat kniete Dr. Albanez und kontrollierte noch einmal die Uhr, die den Überdruck im Brustkorb anzeigen mußte, ohne den eine Öffnung des Brustraumes wegen des Unterschiedes der Luftdrücke nicht möglich ist.
Auf dem einen Tisch, völlig bedeckt mit einem gewärmten Laken, ruhte bleich und spitz Juan Torrico. Sein Gesicht war dem Tode näher als dem Leben, sein Körper ein Gerippe, das die Haut umspannte. Die eingefallene Brust hob und senkte sich mit rasselndem Atem. Besorgt stand Dr. Tolax neben ihm und schaute auf die Uhr über den gläsernen Instrumentenschränken. Es wird Zeit, dachte er. Worauf wartet Moratalla denn noch? Wenn er nicht zugreift, stirbt uns Juan noch in der Narkose!
Hinter der Glaswand, die den Operationsraum vom Waschraum abtrennt, stand Prof. Moratalla im Gespräch mit den anderen Ärzten. Er hatte die Handschuhe schon an, den Mundschutz unters Kinn geschoben. Groß, stark, selbstbewußt stand er im Raum und sprach in aller Ruhe noch einmal die Handgriffe durch, die er vornehmen wollte und bei denen die Kollegen assistieren sollten. Er schilderte diese einmalige Operation schon im voraus – er erlebte sie mit dem geistigen Auge und erwähnte alle Komplikationen, die vorkommen konnten, und deren schnellste Bekämpfung. Seine Stimme war klar, dozierend, ohne eine Regung von Angst oder Erregung oder Spannung. Er strahlte in diesem kritischsten Moment seines Lebens eine Ruhe aus, die sich auf die andern Ärzte übertrug und ihre Skepsis schwinden ließ. Voll Bewunderung schauten sie zu dem Riesen auf.
»Ist alles klar, meine Herren?« fragte Moratalla dann.
Die Ärzte nickten.
»Dann lassen Sie bitte Señora Torrico hereinfahren.«
Er trat durch die Glastür in den Operationsraum und klappte den Mundschutz hoch. Neben ihm, vermummt, in langen hellen Gummischürzen, gingen die anderen Ärzte wie Sagengestalten.
Über den
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