Viele Mütter heißen Anita
Torricos vorzusprechen, denn sie glaubte, daß Juan geschrieben habe. Sie begrüßte die Mutter mit einem flüchtigen Kuß, der mehr Gewohnheit aus ihrer Kindheit als echte Zuneigung war, als es an der Tür schellte. Eines der Hausmädchen hörte man öffnen, eine männliche Stimme sprach, und dann erschien das Mädchen in großer Verwirrung und sehr blaß an der Tür.
»Draußen ist die Polizei«, stotterte es.
»Der Samstag«, stöhnte Pilar und seufzte tief. »Er fängt gut an. Was will sie denn?«
»Der Mann will die Señora sprechen.«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?« Sie stöhnte wieder auf und zog den Morgenrock enger um ihre Fülle. Sie sah während dieser Bewegung wirklich leidend aus. Concha legte ihren Arm auf ihre Schulter.
»Ich sehe schon nach – wenn es wichtig ist, rufe ich dich.«
»Es wird bestimmt nichts Wichtiges sein! Vielleicht haben sie einen faulen Fisch in der Ware gefunden, oder im Mehl waren Würmer. Das kommt bei deinem Vater ab und zu vor, Conchita. Ängstige dich nicht darum … gibt dem Polizisten zwanzig Peseten und eine Flasche Aperitif, dann geht er wieder.«
»Es ist gut, Mutter.«
Sie ging hinunter in den großen Flur und sah vor der Tür einen Polizisten stehen. Seine Uniform war staubig, und er hatte keine Lust, bei Ricardo Granja vorzusprechen. Aber was er zu melden hatte, war so unwahrscheinlich, daß der Sergeant, der die Station Solana del Pino verwaltete, erst den Auftrag gab, zu fragen, bevor es ans Berichten ging, weil die Meldung aus Madrid völlig sinnlos war.
»Meine Mutter ist nicht gesund«, sagte Concha und nickte dem Polizisten zu. »Was ist denn?«
»Ich möchte Señor Granja sprechen. Er ist doch zu Hause?«
»Nein. Mein Vater ist in Madrid.«
»In Madrid?« Der Polizist kratzte sich den Hinterkopf. »Dann stimmt es ja doch. Wir wollten es nicht glauben!«
Concha erfaßte eine große Angst. Sie zog den Polizisten in das Haus und schloß die Tür.
»Ist mit meinem Vater etwas passiert?« fragte sie ängstlich. »Warum fragen Sie denn nach ihm? Ist er verunglückt?«
»Das gerade nicht.« Der Polizist schluckte. Es war ihm unangenehm, es zu sagen. Er sah sich um, geblendet von dem für ihn unvorstellbaren Reichtum, und das machte es ihm noch schwerer, weiterzusprechen. »Ihr Vater … hm, Señorita, aber bitte, schreien Sie nicht … Ihr Vater ist heute nacht … hm … in Madrid verhaftet worden …«
Concha war einen Augenblick stumm. Sie starrte den Polizisten an, als habe er von einem Mord gesprochen. Dann schluckte sie und stammelte: »Mein Vater – verhaftet?«
»Ja, wegen Körperverletzung.«
»Das ist doch unmöglich …«
»Das haben wir auch gedacht. Aber es ist so. Wir haben heute morgen die Meldung aus Madrid bekommen und sollen Sie und die Señora bitten, nach Madrid zu kommen. Señor Ricardo hat einen Mann blutig geschlagen und wollte ihn auch ermorden.«
»Nein!« schrie Concha grell auf.
»Er hatte unter dem Mantel ein Beil bei sich …«
»Mein Gott. Und wir suchen es …«
»Das werden Sie in Madrid aussagen müssen. Señor Granja gibt nämlich auf Fragen keine Antwort mehr.«
»Wir werden sofort fahren.«
Concha wirbelte herum und rannte die Treppe hinauf. Mit fliegenden Haaren stürzte sie in den Wintergarten, wo Pilar frühstückte und in einem neuen Roman las. Sie sah ihre Tochter groß an und seufzte erschreckend laut.
»Doch fauler Fisch«, stöhnte sie. »Daß Ricardo nicht klug wird! Gib dem Polizisten statt zwanzig lieber fünfzig Peseten.«
»Vater …« Concha warf sich in einen Sessel und begann zu weinen. »Mutter, man hat Vater in Madrid verhaftet.«
»Was?!« Pilar Granja ließ ihr Brötchen fallen und warf den Roman in eine Ecke. »Verhaftet? Ist man verrückt geworden?«
»Vater wollte einen Mann ermorden! Mit dem Beil, das wir vermissen …«
»Heilige Mutter!« Pilar war weiß geworden und begann am ganzen Körper zu zittern. »Ricardo wollte einen Mann … Conchita, sie haben einen Falschen verhaftet. Soviel Mut hat dein Vater gar nicht …« Sie stand auf und tappte aus dem Zimmer, hinunter in die Halle, wo der Polizist sofort stramme Haltung annahm, als er die mächtige Gestalt der reichen Dame auf sich zukommen sah.
»Ihre Madrider Kollegen sind Idioten!« schrie Pilar grell. »Ricardo ist unschuldig!«
»Deshalb sollen Sie ja auch sofort nach Madrid kommen, Señora.« Der Polizist war ein wenig beleidigt. Man hört nicht gern, daß die Hüter des Staates Idioten sind. Pilar schwenkte die
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