Viele Mütter heißen Anita
auch im Sommer, wenn am Tag die Sonne glüht.
»Was willst du, Mutter?« Pedro schaute ihr verblüfft zu.
»Ich bleibe bei ihm und wache«, sagte Anita.
Da hob der starke, große Sohn die Mutter mit dem Schemel hoch, trug die sich Wehrende aus der Kammer, setzte sie in der Küche wieder auf die Erde und zeigte auf das Bett.
»Dort hinein gehst du«, sagte er, und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. »Ich und Elvira werden bei Juan wachen. Und du kommst nicht in die Kammer! Du sollst schlafen!«
»Wie kann ich schlafen, wenn Juan krank ist!« schimpfte Anita. »Du hast kein Herz, du grober Klotz, du bist ein roher Patron, du bist …«
Sie schimpfte noch weiter, als Pedro schon wieder die Küche verlassen hatte und sich zu Juan ans Bett setzte. Er trocknete ihm den Schweiß vom Körper, der plötzlich ausgebrochen war und die Haut wie Wasser überzog.
Der Junge lag in tiefem Schlaf. Es war ein Schlaf der Erschöpfung. Elvira sah ihren Mann fragend an – Pedro nickte ihr zu und wandte den Kopf. Geh hinauf, hieß das. Schlafe auch du. Ich bleibe hier und passe gut auf ihn auf. Und Elvira verstand ihn und ging in ihre Kammer, wo sie schlaflos lag und lauschend nach unten horchte, ob sich nichts rührte oder wieder ein neuer Schrei durch das stille Haus gellte.
Aber es blieb still, und Elvira sah den Morgen über die Santa Madrona dämmern, den Morgen, der fahl war und mit streifigem Himmel. Es würde Regen geben … endlich Regen am Tag. Die Felder mußten bewässert werden, die kleinen, mit Steinen gemauerten Kanäle mußten nach bestimmten Zeiten abgeschlossen und das Wasser umgeleitet werden, um allen Feldern, auch denen der Nachbarn, das lebentragende Naß zukommen zu lassen. Die Früchte wollten umsorgt sein, Regen hieß Arbeit, schwere Arbeit, aber Arbeit, die Brot gab und Sicherheit, und Juan war krank, und Pedro mußte mit ihm in die Stadt zu Dr. Osura.
Elvira stand auf und zog sich an. Dann ging sie hinunter und traf Anita schon auf den Beinen. Sie kochte wieder die Schweinekleie und sah der Schwiegertochter kurz entgegen.
»Wir müssen die Felder versorgen«, sagte sie einfach, so, als sei es selbstverständlich, daß sie in ihrem Alter einen ganzen Tag arbeiten konnte.
»Ja, Mutter«, antwortete Elvira. Sie band sich ein Kopftuch um die Haare und schlug einen Schal um die Schulter. Draußen begann es schon zu regnen – die dicken Tropfen fielen gegen die blinden Scheiben und liefen durch den Staub, breite Rillen hinterlassend. Die Tropfen wurden schnell zu einem Trommeln, und der Regen rauschte durch die Berge. Ja, der Himmel meinte es gut mit Castilla – er schickte tiefe Wolken, die gegen die Sierra Morena stießen und dort zerschellten, einen Schwall von Wasser über die graue Erde schüttend.
Pedro sah kurz in die Küche hinein. Seine Augen lachten.
»Es regnet!« sagte er glücklich. »Die Ernte ist gerettet, Mutter!«
»Ja, Pedro.« Anita rührte die Kleie. »Und was macht Juan? Darf ich jetzt zu ihm?«
»Gleich, Mutter, gleich. Er schläft noch. Es ist, als sei er nie krank gewesen.« Er verzog den Mund. »Es muß eine merkwürdige Krankheit sein. Wir müssen doch zu Doktor Osura.« Er schaute an das Fenster, vor dem es rauschte. Er schien an die Felder zu denken und an die gute Arbeit, die der Regen brachte. »Ich will gegen Mittag wieder zurücksein, dann ist es noch Zeit genug.«
Zwei Stunden später fuhren sie ab. Juan war so schwach, daß er sich gegen Pedro lehnte, der mit starker Hand das Pferd zügelte und es langsam laufen ließ. Es war, als habe der Regen die Erde verwandelt. Die Wiesen waren grün, die Felder, die Straßenränder – sogar Blumen nickten unter dem Schlag des Regens, Blumen, die niemand in dem Staub gesehen hatte. Überall wimmelte es auf dem Land. Die Bauern hackten die trockene Erde auf, um den Boden tief durchfeuchten zu lassen, denn keiner wußte, wann es wieder regnen würde, bis der Herbst kam, und das war noch lange Zeit.
Dr. Osura praktizierte in Mestanza und Puertollano. Er hatte einen großen Patientenkreis, denn er galt als gütig und weise, und vor allem war er ein Arzt, der etwas verschrieb und dem Apotheker etwas zu verdienen gab. Manchmal waren es harmlose Kalkpillen, die er mit tönenden Namen bezeichnete, denn Frauen wie Pilar Granja zum Beispiel wollten eine Medizin haben, auch wenn sie gesund waren und sich ihre Leiden nur einbildeten. Es war für sie eine willkommene Abwechslung in ihrer täglichen Langeweile, einmal krank zu sein
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