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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen Lichtstrahl in Juans Augen schoß und dann mit den Schultern zuckte.
    »Hm«, sagte Dr. Osura wieder und legte den Spiegel zur Seite. Und zu Pedro gewandt, meinte er: »Geh einmal hinaus, du langes Laster.«
    Pedro sprang von seinem Stuhl auf und ließ den Hut fallen, den er die ganze Zeit zwischen den Fingern gedreht hatte.
    »Werden Sie ihn jetzt operieren?« rief er ängstlich. »Ob wir vorher doch nicht lieber die Mutter fragen?«
    »Mach, daß du rauskommst!« sagte Dr. Osura grob, doch in seinen Augen lag ein Lächeln. Pedro bückte sich, ergriff den Hut, zerknüllte ihn zwischen den Fingern und verließ schnell das Ordinationszimmer. Draußen, im Wartezimmer, war er allein. Er setzte sich tief seufzend in eine Ecke und starrte auf den staubigen Boden, den viele Bauernstiefel schmutzig machten. Was wird er jetzt mit Juan tun? zitterte es in ihm. Mein Gott, er wird ihm doch nicht weh tun! Ich hätte nicht hinausgehen sollen, ich hätte dabeibleiben müssen, und wenn es mit Gewalt sein mußte! Er sprang wieder auf und schlich an die Tür, drückte das Ohr an das Holz und lauschte. Er hörte nur das Gemurmel von Stimmen – keinen Schrei, kein Stöhnen, kein Wimmern.
    Ächzend ging er zu seinem Stuhl zurück und hockte sich nieder. Er schwitzte vor Erregung und Angst um Juan. Seine Finger kneteten den Hut zu einer unförmigen Masse, und er sah es nicht. Er starrte auf die Tür, auf diese weiße, glatte Tür, und er kam sich grenzenlos elend vor. Juan, dachte er bloß. Juan – ich habe nie gewußt, wie sehr ich an dir hänge. Santa Maria, laß ihm nichts Böses geschehen …
    Und die Minuten tropften auf ihn nieder wie flüssiges Feuer, aber als er hinsah, war es nur sein Schweiß, der von seiner Stirne rann …
    Dr. Osura sagte zunächst nichts, als Pedro aus dem Zimmer gegangen war. Er setzte sich auf das gummiüberzogene Sofa und blickte Juan lange an. Der Junge hielt diesem forschenden Blick stand.
    »Du hast etwas«, sagte Dr. Osura einfach.
    »Nein.«
    »Doch!« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn, mich zu belügen, wie du alle um dich herum belügst. Ich habe mit dem Spiegel tief in deine Augen und damit in deine Seele geblickt, und ich bin ein alter Mann und kenne mich in den Seelen der Menschen aus.« Er beugte sich zu Juan vor, und seine Stimme war gütig. »Willst du mir nicht sagen, was du hast?«
    »Ich habe nichts!« Juans Lippen waren fest zusammengepreßt, als er diese Antwort gab. Dr. Osura lächelte und zog Juan an der Hand neben sich auf das Sofa.
    »Ich habe Pedro hinausgeschickt, weil ich mit dir darüber sprechen wollte. Auch deine Mutter soll es nicht wissen – nur ich allein, Juan. Vielleicht kann ich dir helfen.«
    Juan schüttelte den Kopf. »Mir kann niemand helfen«, sagte er starrköpfig.
    »Siehst du – es ist also doch etwas!« Dr. Osura faltete die Hände und legte sie auf seine spitzen Knie. »Dein Herz ist nicht stark, Juan – ich will es dir ehrlich sagen. Es erträgt keine Aufregungen und große seelische Belastungen. Als du gestern keine Luft mehr bekamst, war es dein Herz, das aussetzte und kein Blut mehr durch die Lunge pumpte. Sieh einmal her, Juan …« Er ging zu einem Schrank, holte eine Rolle hervor und rollte sie auf dem Sofa auf. Es war ein auf Leinen aufgezogenes, buntes Anschauungsbild des menschlichen Herzens – einmal aufgeschnitten, einmal, wie es von außen ist und einmal, wie es aussieht, wenn bestimmte Krankheiten es befallen haben. Juan beugte sich vor – noch nie hatte er so etwas gesehen. Das ist ein Herz, dachte er enttäuscht. So ein faustgroßes Stück Fleisch, mit Klappen und dicken Adern; es sieht aus wie ein im Flußwasser abgeschliffener Kieselstein. Und dieses Herz soll lieben, es soll empfinden, sich sehnen können? Solch ein merkwürdiges, gar nicht schönes Gebilde? Er sah Dr. Osura zweifelnd an, und der Arzt schien zu ahnen, was der Junge dachte.
    »Enttäuscht?« fragte er lächelnd. »Ja, Juan – so sieht auch dein Herz aus. Eine kleine Pumpe, die dein Blut, es sind fünf Liter, durch den Körper pumpt. Hier, das ist die Aorta, die Hauptschlagader, die alle anderen Schlagadern speist. Und dort, Juan, das ist die große Hohlvene, die das Blut von Kohlensäure gereinigt in den Körper zurückbringt, und dort, die große Lungenarterie, nimmt das dunkle, ungereinigte Blut mit in die Lunge, wo es frisch wird und wieder kräftig für das Leben. So geht es immer rund herum im Körper, bis in die Fingerspitzen, Juan – es

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