Viele Mütter heißen Anita
zitternd vor Kälte.
Juan sah aus dem Spalt, als er durch das monotone Rauschen des Regens das Brummen der Motoren vernahm. Da erfaßte ihn eine große Angst, ein Fieber, das plötzlich heiß durch seinen Körper jagte.
Seine Pferdedecke wehte um seinen Körper. Das Haar hing ihm naß in die Stirn. So stand er oben vor der Höhle und wartete, bis die beiden Männer emporgestiegen waren.
Als erster hielt Dr. Osura an und wandte sich zu dem großen, dicken Herrn, der hinter ihm ging. Aus ihren Hüten liefen kleine Bäche Wasser über die Schultern und Mäntel hinunter an die Hosenbeine, die völlig durchnäßt waren.
»Das ist er«, sagte Dr. Osura leise.
Campillo hob den Kopf und sah die einsame Gestalt in der flatternden Decke am Felsen stehen. »Dieser Indianer da?« fragte er.
»Ja. Juan Torrico.«
»Hm.« Campillo ging an Dr. Osura vorbei und kam die letzten Schritte näher. Er ging auf Juan zu, der an den Felsen gepreßt ihm entgegensah, ohne sich zu bewegen oder ihm entgegenzugehen.
So sieht mein Schicksal aus, dachte er ernüchtert. Ein dicker Mann mit durchweichten Kleidern.
Campillo sah ihn an. Ihre Blicke kreuzten sich. Es war ein stummes, aber scharfes Duell, als wenn zwei Florettklingen hell aufeinanderklingen. Dann hob Campillo die Hand und reichte sie Juan hin. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Señor Torrico«, sagte er laut.
»Ich freue mich auch.« Juan nahm die Hand und verbeugte sich. Campillo sah sich während dieser Verbeugung kurz um und fühlte, wie ein Frösteln über seinen Rücken lief. Ein Genie wächst in der Stille, dachte er dabei. Aber diese Stille, diese Einsamkeit, dieses Asketentum ist schon unheimlich.
»Doktor Osura hat Ihnen schon gesagt, warum wir kommen?« versuchte er eine Unterhaltung.
»Ja.«
Juan gab dem Arzt die Hand und sah ihn hilfesuchend an.
»Señor Torrico wird dir seine Bildwerke zeigen, Fredo«, kam ihm Dr. Osura zu Hilfe. »Und er möchte wissen, ob sie es wert sind, gefördert zu werden.«
»Ja«, sagte Juan schüchtern. Dann ging er durch den Spalt und blickte zurück. »Bitte, kommen Sie mir nach«, rief er.
Und Fredo Campillo betrat die geheime Werkstatt Juans.
Der steinerne Adler stand auf dem Tisch. Auf dem Regal hoben sich aus dem begrenzten Schein der alten Lampe die anderen Werke ab. Aber beherrschend, in der Mitte des dumpfen Raumes, stand aus dunklem Granit der schmale, wie ein Büßer wirkende Kopf Juan Torricos, ein Gesicht, gezeichnet von innerem Leid, ein Kopf wie aus der Frühzeit des Christentums, dem nur die Dornenkrone fehlte, die er im Folterkeller eines Nero bekommen hatte. Ein Kopf voll Leben, ein Antlitz, das aus dem rauhen Granit emporwuchs wie eine schreiende Klage gegen etwas, was nicht greifbar ist.
Fredo Campillo stand eine Zeitlang stumm vor diesem Kopf. Er umging ihn, er fuhr mit den Fingern über die Linien des Gesichtes, und dann hob er den alten, zerbrochenen Meißel auf und den Hammer, der daneben lag.
»Damit haben Sie es gemacht?« fragte er Juan, ohne sich nach ihm umzuwenden. Dr. Osura stand hinter ihm und hatte ihm beide Hände auf die Schulter gelegt. Mut, sollte das heißen, nur Mut, Juan – du wirst bestehen … Campillo betrachtete den Meißel. »Mit diesem Werkzeug?«
»Ja.«
»Und sonst haben Sie nichts gehabt?«
»Nein. Nichts.«
Campillo fuhr plötzlich herum und schrie Juan laut an. »Belügen Sie mich nicht!«
»Ich lüge nicht«, stammelte Juan und verkrampfte die Hände zur Faust. »Warum sollte ich lügen?«
»Wo ist das andere Werkzeug?« schrie Campillo. »Der Zirkel, der Stichel, der Flachmeißel, der Schleifer? Heraus mit der Sprache: Wo haben sie es?«
»Ich habe nichts«, stotterte Juan. Er sah sich nach Dr. Osura um, der das Benehmen seines Freundes nicht verstand und wütend war.
»Er hat wirklich nur diesen Meißel«, sagte er laut und herzlich.
Campillo nickte. Er sah Juan groß an, als habe er noch nie einen solchen Menschen gesehen, und in seinen Augen lag so tiefe Verwunderung, daß selbst Juan zusammenzuckte.
»Ich glaube es ja«, sagte Campillo leise. »Ich glaube es ja, Emilio. Ich … ich …« Er wandte sich wieder um und ging zu den Figuren auf dem Regal. Er sprach nicht aus, was er sagen wollte – er scheute sich davor, das Gefühl des Unglaubens auf die Lippen zu heben.
Draußen, im rauschenden Regen, stand noch immer Anita und wartete.
Sie wußte nicht warum und worauf. Sie wartete eben. Sie ließ ihren Körper durchweichen, sie fror und schlotterte mit den
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