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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und aus ihren Mähnen und Schweifen floß der Regen und rann über die mageren Leiber. Aus einigen Wagen stieg Qualm auf – es war kalt in der Flut des himmlischen Wassers, kalt, wo am Vortag sich das Gras unter der Sonne gebogen hatte, als wolle es verbrennen.
    Dr. Osura fuhr ohne Aufenthalt durch Solana del Pino hindurch. Der Heilige auf dem Brunnen lief fast über – sein Krummstab spuckte das Wasser in hohem Bogen in das steinerne Becken, von wo es in einer dicken Leitung zu einem großen, unterirdischen Kanal lief, der das wertvolle Wasser speicherte für die Tage der Wassernot.
    Fredo Campillo hielt mit knirschenden Bremsen. Dr. Osura sah es im Rückspiegel und hielt erstaunt. Er beugte sich aus dem Fenster und sah mit Entsetzen, wie Campillo aus dem Wagen stieg, ohne Mantel, in seinem eleganten Anzug und seinen hellbraunen Wildlederschuhen durch den Schmutz des Marktplatzes watete, sich die Hosenbeine mit Kot bespritzte und an den Brunnen ging. In strömendem Regen stand er, mit vorgebeugtem Oberkörper, vor dem steinernen Heiligen und betrachtete ihn. Dann wandte er sich ab, schüttelte mehrmals den Kopf und stieg, völlig durchnäßt, wieder in seinen Wagen.
    »Unglaublich«, murmelte er. »Sechzehntes Jahrhundert! Und so etwas stellen die Bauern auf ihren dreckigen Brunnen! Ich werde ganz Madrid mobilmachen und nach Castilla führen!«
    Dr. Osura fuhr wieder an. Das sieht ihm ähnlich, dachte er. Erst schimpfen, und dann steigt er aus, verdirbt sich seinen Anzug, seine Schuhe und seine ganze andere Kleidung, nur, um eine dumme Brunnenfigur zu betrachten.
    Der alte Ford bog seitlich ab und wandte sich dem Rebollero zu, der im Regen wie ein mit Gaze verbundener Finger aussah. Campillo trocknete sich beim Fahren mit einem großen Taschentuch den über das Gesicht laufenden Regen ab und hatte in sich die große Sehnsucht nach einer warmen Stube und einem guten Glas Wein.
    Nach einer halben Stunde langsamer Fahrt kamen sie in das Tal, von dem aus man die Höhle Juans erreichen konnte. Hier hielt Dr. Osura an und hüllte sich fester in seinen Regenmantel, als er ausstieg. Campillo sah aus dem Fenster.
    »Panne?« fragte er.
    »Nein – wir sind da.«
    »Hier, in diesem Loch? Hier kann doch kein Mensch wohnen?«
    »Und doch schafft hier der größte Bildhauer, den Spanien besitzt.«
    »Abwarten«, sagte Fredo Campillo skeptisch. »Erst muß ich das Wunderkind sehen …«
    Langsam stiegen sie den Abhang hinauf.
    Juan war schon seit dem frühen Morgen in seiner Höhle. Im strömenden Regen war er in die Berge gelaufen, und Anita ahnte, was dieser Tag bringen würde. Sie wickelte sich, kaum daß Juan in den Bergen und den Nebelwolken verschwunden war, in ihren großen Schal und keuchte mit ihren dicken Beinen dem Sohne nach, nicht wissend, was sie eigentlich wollte und wie das alles enden sollte.
    Juan hatte eine alte Pferdedecke, die ziemlich durchlöchert war, um sich gehängt, wie ein Südamerikaner seinen Poncho, den ärmellosen Mantel, trägt, und rannte durch das Unwetter. Auch er zitterte vor dieser Begegnung und verfluchte innerlich den Himmel, der es regnen ließ.
    Er wälzte die Steine von dem Höhleneingang weg und setzte sich an seinen Tisch. Die Öllampe brannte trüb. Sie rußte sehr und verpestete die Luft. Ab und zu ging er an den Spalt und schaute hinaus auf den Weg, den die Wolken vernebelten und der Regen aufweichte. Er sah nur nach Solana del Pino hin, nicht rückwärts, woher er gekommen war. Dort hockte die alte Anita hinter einem Felsvorsprung, im Regen, der ihr den Schal durchnäßte und die Kleider an den Körper klebte. Aber sie stellte sich nicht unter, sie suchte keinen Schutz – sie starrte auf die Höhle, die vor ihr lag und in der ihr Sohn wartete. Und so wartete sie mit, getrieben von der rätselhaften Kraft, die in jeder Mutter ruht, verbissen mit dem Trotz des Alters und im Herzen bebend vor dem, was sie sehen würde.
    Einmal trat Juan aus der Höhle heraus in den Regen. Er hustete. Natürlich, es war kalt, und er war durchnäßt, und sein zarter Körper ertrug nicht die Witterung – er brauchte jetzt Wärme, einen heißen Ofen und heiße Milch mit ein wenig Honig, um seinem Atem ruhiger gehen zu lassen. Es war ein Augenblick in Anita, der sie zwingen wollte, aufzuspringen und Juan an der Hand heimzuführen – aber dann sah sie die beiden Wagen durch die Schlucht fahren, und sie duckte sich wieder hinter das Gestein, sich einhüllend in den nassen Schal und am ganzen Körper

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