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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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plötzlich schrie die kleine, alte Frau mit einer Kraft, die den Arzt zurückprallen ließ: »Ich weiß nur eins: Ihr wollt mir meinen Sohn wegnehmen, ihr wollt mir meinen kleinen, armen, kranken Sohn wegnehmen. Meinen Juanito … Aber ich lass' ihn nicht fort, lass' ihn nicht fort …« Und dann weinte sie, die dicken Tränen tropften ihr aus den alten Augen, liefen die Runzeln ihres Gesichtes hinab wie ein Bach, der ein fertiges Bett findet, und sammelten sich an ihrem Mund, der eingebettet lag in einem Krater faltiger Haut. Sie weinte still, ohne zu schluchzen, die Tränen liefen nur immer aus den Augen, daß es aussah, sie flössen aus, und dieses Weinen der alten Frau, die nicht über die Berge blicken konnte und festhielt an der Welt, die sie sah, erschütterte Dr. Osura, daß er sich auf die Lippen biß, um nicht der aufquellenden Weichheit zu verfallen.
    »Ich werde mit Juan sprechen«, sagte er leise. »Und wenn mein Freund ihn mitnimmt nach Madrid, sollen Sie mitziehen.«
    »Ich gehöre auf das Land«, sagte sie unter Weinen. »Mein Kind ist krank, es wird die fremde Stadt nicht überstehen.«
    »Aber Anita!« Der Arzt faßte ihre Hände, zog die alte Frau zu sich auf die Bank und legte seinen Arm um die zuckende Schulter. »Juans Herz ist schwach, das stimmt. Aber er ist doch nicht lebensgefährlich krank. Es ist doch – wie man bei uns Ärzten sagt – nichts Organisches. Es ist nur Nervosität, Schwäche, hervorgerufen durch dauernde seelische Erregungen oder Belastungen. Auch darunter kann ein Herz krank werden, Anita. Und seine Krankheit ist die Sehnsucht, herauszukommen aus diesen Bergen, seine Kunst auszubauen, etwas zu leisten und anerkannt zu werden. Er ist ein anderer Mensch als wir, Anita. Für sein Leben gelten andere Gesetze als die, mit denen wir groß geworden sind.« Er beugte sich zu ihrem tränennassen Gesicht vor und sagte eindringlich: »Anita, ich will dir ein Geheimnis verraten: Solange Juan als Bauer die Kühe hütet, wird sein Herz nie gesund werden …«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Doch, Anita. Ich sage es dir als Arzt.«
    Mit der Beharrlichkeit alter Leute schüttelte sie wieder den Kopf. »Es ist nicht wahr«, sagte sie wieder. »Juans Herz ist krank. Es kommt nicht von der Seele, es liegt im Blut. Ich weiß es, Herr Doktor. Du bist eine Hexe, hat mein Mann gesagt. Ich weiß, daß Juan sehr krank ist …«
    Dr. Osura zog unwillig den Arm zurück. »Ich habe ihn genau untersucht, Anita. Ich habe ihn abgehorcht, habe in seine Augen geblickt und die Reflexe geprüft.«
    »Davon verstehe ich nichts. Aber er ist krank«, sagte sie eigensinnig.
    Der Arzt erhob sich. Er ärgerte sich. Er gab zu, daß er gegen diese alte Frau machtlos war und das stille Duell verloren hatte. Er reichte Anita Torrico die Hand, und seine Stimme war nüchtern.
    »Auf Wiedersehen, Anita. Ich werde Juan auf den Weiden suchen und ihn untersuchen, so gut es geht.« Er stockte. »Und über das andere, über das sprechen wir noch, Anita, wenn es an der Zeit ist, wichtige Entscheidungen zu treffen.« Und als er sah, wie Anitas Gesicht sich wieder verhärtete, sagte er etwas, was er nie sagen wollte. Aber es platzte ihm von den Lippen, und er bereute es auch schon, als er es gesagt hatte: »Weißt du, was du bist, Anita? Du bist eifersüchtig auf alle, die mit deinem Sohn zusammen sind.«
    Dann wandte er sich schnell um und ging fort, um seine Reue nicht zu zeigen, die er über diesen letzten Satz empfand.
    Anita blickte ihm nach. Sie stand wie eine Säule. Aber in ihren Augen glänzte es.
    Ja, dachte sie. Vielleicht ist es wahr. Ich bin eifersüchtig. Und ich bin stolz darauf. Die Eifersucht ist die Schwester der großen Liebe. Und ich liebe Juan mehr als alles.
    Sie ging ins Haus zurück und beugte sich vor dem kleinen Hausaltar mit der Muttergottes von Fatima, umgeben von Blumen und einem ewigen Licht in einer Holzampel.
    »Ist es recht?« fragte sie, und ihr gläubiger Blick hing an dem Gold der alten Figur. »Oh, hilf mir, ich weiß nicht mehr, wie es werden soll …«
    Und sie weinte wieder, weil es das einzige war, was sie innerlich erlöste …
    Der Montag war schnell gekommen.
    Anita hatte mit Juan über die Begegnung mit Dr. Osura nicht gesprochen, obwohl sie es gleich nach seiner Rückkehr von den Weiden tun wollte. Aber da sie heraushörte, daß auch Dr. Osura geschwiegen hatte, sagte sie nichts, sondern nahm sich vor, erst einmal mit Concha zu reden.
    Dieser Montag begann mit Regen. Für die Landleute

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