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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gliedern – aber sie gab den Platz nicht auf. Sie wollen mir Juan nehmen – das war die große Kraft, die sie durchrann. Und ich dulde es nicht. Ich will es nicht. Juan gehört zu mir, mir ganz allein. Ich bin seine Mutter, und einer Mutter ist ein krankes Kind das liebste.
    Dr. Osura und Fredo Campillo blieben nicht lange in der Höhle. Beladen mit steinernen Figuren sah sie Anita bald aus der Höhle kommen und hinuntergehen zu den beiden Wagen. Dann kehrten sie zurück, und dann erschien auch Juan, und er lächelte. Dieses Lächeln schnitt Anita in das Herz.
    Die fremden Männer hatte gesiegt.
    Jetzt trugen sie einen großen, dunklen Stein zu dritt hinunter und legten ihn in den schönen Wagen des fremden Herrn. Juan gab ihnen die Hand, sie sprachen noch ein wenig, ja, sie würden gleich abfahren – und sie stand noch immer hinter dem Stein und sah zu.
    Da wandte sie sich ab, ging geduckt den Weg zurück und schlug, so eilig es ihre alten Beine konnten, einen Bogen, erreichte die Straße nach Solana del Pino und hockte sich hier an den Wegrand, als sei sie ein Bündel Kleider, das der Regen in die Gosse gespült hat.
    Sie stand nicht lange an der Straße, als die beiden Wagen aus dem Nebel auftauchten und langsam durch den Morast der Straßen schlichen. Voran der Wagen Dr. Osuras, der klappernde Ford. Anita trat einen Schritt vor – sie stand im Kot des Weges, den Schal um Kopf und Schulter. Ihre Hände waren vorgestreckt, als wolle sie betteln – die Handflächen waren wie Schalen, bittend, flehend fast, und in ihrer grenzenlosen Armut und Bescheidenheit erschütternd. So stand sie da, und Dr. Osura hielt mit einem so plötzlichen Ruck, daß Campillo alle Mühe hatte, nicht hinten aufzufahren.
    »Anita?!« rief Dr. Osura und sprang aus dem Wagen. »Mein Gott, was machen Sie denn hier? Wie sehen Sie denn aus? Können Sie nicht mehr gehen …?«
    »Ich kann nicht mehr atmen«, sagte sie leise. »Mein Herz ist tot ohne Juan …«
    »Juan ist nicht bei uns!« Dr. Osura ahnte, was in der letzten Stunde geschehen war, und er begann plötzlich zu frieren.
    »Ich weiß es. Aber seine Werke sind bei Ihnen.«
    »Allerdings.«
    »Sie bringen sie weg.«
    »Ja.«
    »Nach Madrid?«
    »Ja.«
    Anita schlug den Schal enger um sich, als könne das völlig nasse Tuch sie noch schützen. »Ich möchte sie sehen«, sagte sie leise.
    Fredo Campillo war aus seinem Wagen gestiegen und kam nun ärgerlich über den Aufenthalt heran. »Gib der Alten zehn Peseten und komm«, sagte er. »Wenn ihr nichts hier habt – Bettler habt ihr auch …« Er wollte in die Tasche greifen und der vermeintlichen Bettlerin etwas Geld geben – aber Dr. Osura fiel ihm verlegen in den Arm.
    »Es ist seine Mutter«, sagte er leise.
    »Wessen Mutter?«
    »Juans …«
    Campillo biß sich auf die Lippen. »Himmel«, sagte er, »wie hab' ich mich blamiert. Was will sie denn, Emilio?«
    »Die Bildhauerarbeiten ihres Sohnes sehen. Er hat sie ihr bis heute verheimlicht. Sie weiß von nichts.«
    Campillo wandte sich Anita zu, die noch immer auf der Straße stand und schwieg. Er nickte ihr freundlich und wie verzeihend zu und gab ihr die Hand. Sie übersah sie, sie reichte die ihre nicht wieder, sondern kam einen Schritt näher.
    »Sie sind der Mann, der Juan mitnehmen will?« fragte sie.
    »Ich bin Fredo Campillo«, sagte er unsicher. Der Blick der alten Frau, ihre brüchige Stimme, die Umgebung machten ihn wunderlich weich.
    »Fredo Campillo. Ich werde mir den Namen merken.«
    »Das dürfen Sie, Señora Torrico.«
    »Ich will die Steine meines Juans sehen.«
    »Aber bitte. Kommen Sie mit.« Campillo ging ihr voran, stapfte durch den Schmutz und riß die Wagentür auf. Auf dem Hintersitz lagen die Werke nebeneinander. In der Mitte der große Kopf Juans aus dunklem Granit. »Das sind sie«, meinte Campillo. Dann blickte er zu Dr. Osura, der an seiner Unterlippe nagte.
    Stumm stand Anita vor dem geöffneten Wagen und starrte auf die steinernen Bilder. Der Adler, das Hasenbild, der Kopf Juans, der sie in seiner Strenge und seiner Schwermut ergriff. Sie beugte sich vor und fuhr mit der rechten Hand streichelnd über das Gesicht der Plastik, sie befühlte die Nase, die Ohren und das Kinn, das spitz aus dem asketischen Gesicht hervorstach. Und sie fühlte plötzlich, daß sie einer anderen Welt gegenüberstand, von der sie bisher nicht wußte, daß es sie überhaupt gab. Sie sah Tiere und Menschen in Stein gehauen, und es war die kleine, zarte Hand Juans, ihres kranken

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