Viele Mütter heißen Anita
großen Fenster. Ein Schwall von Schwestern und Ärzten stand um den Tisch, auf dem der Operierte lag. Sein Kopf lag etwas tiefer als der Körper, zwischen ihm und dem Körper war eine Drahtwand mit sterilen Tüchern gespannt; der Anästhesist, ein junger Arzt, saß an den Uhren und kontrollierte die Herztöne, den Pulsschlag und die Dosis der Gasbetäubung.
Prof. Dr. Moratalla arbeitete. Es war still in dem Saal – man umstand ihn, man reichte ihm die Instrumente, die er mit leiser Stimme ansagte. Umgeben von blutbefleckten Tüchern, auseinandergezogen von blitzenden Wundhaken, lag der Brustkorb offen da. Die Lunge atmete normal – vom Narkosegerät wurde der Überdruck in die Lunge gepumpt, der Ausgleich zwischen der Außenluft und dem Druck im Inneren des Körpers, der schwächer war.
Die Lunge war rot, durchsetzt mit gelben, zackigen Flecken, die aussahen wie Geschwüre, wie ausgelaufene Eiterbeulen. Das Herz schlug ruhig. Der große Hautlappen mit den auseinandergesägten Rippen lag auf warmen Tüchern.
Prof. Moratalla schaute kurz auf. Sein Blick über den Mundschutz hinweg traf die Ärzte, die den Tisch umstanden.
»Ich habe recht gehabt«, sagte er. Seine Stimme war tief, sie hatte den Ton einer Orgel. Es war eine Stimme, die man nicht so schnell vergaß in ihrer absoluten Männlichkeit. »Ein sekundärer Lungenkrebs. In einem Stadium, der es unverständlich macht, daß der Mann überhaupt noch atmen konnte, ohne bei jedem Atemzug Eiter und Blut zu erbrechen. Soll ich die Lunge herausnehmen, meine Herren? Man kann mit einer Lunge gut leben.«
Die Ärzte sahen ihren Chef an. Man gab keine Antwort, aus Scheu, etwas Falsches zu sagen. »Na«, fragte Prof. Moratalla. »Keiner?«
»Ich würde den Brustkorb zumachen und nichts tun«, meinte ein junger Assistent. »Krebs in diesem Stadium ist nicht heilbar.« Er sah den Professor mit den gläubigen Augen der Jugend an, die glauben, in Neuland zu blicken. »Der Krebs kann auf die zweite Lunge übergreifen, zumal er sekundär ist und wir noch nicht genau wissen, wo seine primäre Wurzel liegt.«
»Ganz gut«, nickte Moratalla. »Aber Sie machen es sich sehr einfach, Doktor Naquera. Der Arzt ist nicht nur Heiler oder Helfer – er soll in erster Linie ein Retter sein! Ein Kämpfer, ein erbarmungsloser und erbitterter Kämpfer gegen den Tod und seine Heerschar, die Krankheiten! Er muß Mut haben, er muß wagen können – er muß das Unmögliche in Erwägung ziehen! Ein Arzt ohne Mut ist wie eine hohle Nuß!« Er beugte sich über den geöffneten Brustkorb, in dem die eiternde Lunge lag. Ein widerlicher Geruch stieg von ihr auf und vermischte sich mit der Wärme, die im Raum lag. »Ich werde die Lunge nicht herausnehmen – es stimmt! Aber ich werde den Kranken auch nicht seinem Schicksal überlassen, o nein, meine Herren. Wenden wir hier einmal – es ist ein Versuch, ich gebe es zu, wir können beim Krebs bis heute immer nur versuchen – die Methode eines italienischen Kollegen an, der tuberkulöse Lungen mit einem Spezialsauger trockenlegte und die Bazillen, die Gewebe und zerstörten Lappen einfach mumifizierte. Warum sollen wir nicht einen Krebs austrocknen wie die Pontinischen Sümpfe?« Prof. Moratalla zeigte mit dem Blutsauger auf die krebsige Lunge. »Auf das Messer des Chirurgen angewiesen, wäre dieser Mann verloren. Ihn kann nur ein Experiment retten. Es ist ein Kampf gegen einen unbekannten Feind.« Der Arzt straffte sich und blickte seine beiden Assistenten an. »Schließen Sie den Brustkorb, nachdem Sie soviel Krebsgewebe herausgetrennt haben, wie es möglich ist. Aber nur ausschälen, nicht resektieren!« Er sah nach hinten zu der Oberschwester, die am Instrumententisch stand und in die Krummnadel das Nähmaterial, das Catgut, fädelte, mit dem die Schnitte vernäht werden. »Was ist in Saal drei, Schwester?«
»Doktor Tolax mit einem Magenkrebs. Hoffnungslos.«
»Hm. Saal eins?«
»Doktor Albanez mit einer Nierenquetschung. Resektion.«
»Saal zwei die üblichen Versorgungen?«
»Ja, Herr Professor.«
»Es ist gut.« Moratalla wandte sich an die umstehenden Ärzte, die den Assistenten zusahen, wie sie die Krebsgeschwülste herausschälten. »Das weitere, meine Herren, können Sie selbst. Guten Tag.«
Er wandte sich ab und ging durch den Saal. Ein großer, schwerer Mann, viel zu groß für einen Spanier. Einer aus dem Nordland, aus Bilbao, wo die Stürme der Biskaya über das Land fegen und die Menschen rauh und lebenstüchtig machen.
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