Viele Mütter heißen Anita
weinte haltlos wie ein Kind.
So sah er nicht, wie der Wagen schnell über die Straße fuhr, sah nicht mehr die Weiden und die Pinie, wo er Concha zum erstenmal gesehen hatte, sah nicht den Rebollero, der in der Sonne wie eine riesige Faust stand, und er sah auch nicht am Eingang des Dorfes Concha stehen, in ihrem Seidenkleidchen, das sie getragen hatte, als sie sich oben vor seiner Höhle küßten. Er fuhr an ihr vorbei, und er verpaßte ihr Winken – nur Dr. Osura sah sie, und er winkte ihr anstelle von Juan zurück.
Solana del Pino durchrasten Sie. Der Heilige auf dem Brunnen war wieder staubig, denn die Sonne schien wieder sechs Tage ohne Unterbrechung, aber noch gab er Wasser, und die Bauern hofften auf ein gutes Jahr und eine einträgliche Ernte. In der Tür seines Ladens stand Ricardo Granja; auch er winkte dem Arzt zu.
Und so versank hinter Juan die Heimat, ohne daß er Abschied nahm. Er lag erschöpft in dem hüpfenden Auto, mit geschlossenen Augen, und umklammerte das kleine bleierne Kreuz, das die Mutter ihm in die Tasche gesteckt hatte.
Die Mutter. In Toledo gab es keine Mutter.
Da erst wußte er, was er aufgegeben hatte, und er faßte sich an das Herz, denn es stach wieder in der flachen Brust …
2
Madrid.
Außerhalb der Stadt, an der Straße nach Barajas.
Ein großes, langgestrecktes Gebäude mit fünf Stockwerken.
Große, breite Fenster. Nach Süden weite, gläserne Sonnenterrassen. Umgeben von einem grünen Park, in dem die Rasensprenger kreisten. Die Sonne füllte das Haus, Licht war in allen Zimmern.
Männer in weißen Mänteln und Schwestern in großen, weißen Hauben standen an den Fenstern oder gingen durch die Grünanlagen.
Die Klinik von Prof. Dr. Carlos Moratalla. Der bekannteste Chirurg Spaniens. Ein Mann, dessen Operationen in der ärztlichen Welt Aufsehen und Bewunderung erregten. Ein Arzt, auf den Spanien stolz war.
In den drei großen, weißgekachelten Operationssälen mit den von der Decke hängenden Tiefstrahlern und den riesigen Milchglasfenstern zum Park hin herrschte reges Leben. Saal I hatte eine Nierenresektion – dort operierte der 1. Assistent Prof. Moratallas, der junge, mutige Arzt Dr. Albanez. In Saal II wurden die täglichen Eingänge an Unfällen oder die an den Vortagen Operierten verbunden und versorgt. Saal III war still. Trotz der Sonne brannten alle Lampen und beleuchteten den Tisch mit den weißen, gewärmten, sterilen Tüchern und dem offenen, blutigen, mit einem Wundspreizer auseinandergerissenen Operationsfeld. Oberarzt Dr. Tolax verkürzte einen Magen. Die junge Frau war nicht mehr zu retten. Sie wußte es nicht – sie lag in tiefer Narkose, und wenn sie in zwei Stunden aufwachte, würde sie es auch nicht wissen, und keiner würde es ihr sagen. Sie hatte drei kleine Kinder. Sie würde mit dem verkürzten Magen vielleicht noch zwei oder drei Jahre leben, dann würde der Krebs weiterfressen und den jungen, noch schönen Körper abmagern lassen und von innen grauenhaft zerstören. Nein, man durfte es ihr nicht sagen, auch nicht dem Mann, der draußen im Warteraum saß und die Hände rang. Er hoffte auf Rettung und Heilung, er vertraute der Kunst Dr. Tolax', er klammerte sich an diese Operation. Und man würde ihm sagen: Die Operation ist gelungen. Und der junge Mann würde glücklich sein und seine Frau küssen … drei Jahre vielleicht, dann würde es aus sein. Und die Ärzte standen hilflos dabei, trotz Radiumstrahlen, trotz Atombeschuß, trotz Kobaltketten mit radioaktiver Wirkung … der Krebs würde stärker sein.
In Saal IV stand Prof. Moratalla. Dieser Saal war nicht offiziell. Es gibt nur drei OPs in der Klinik – dieser vierte, etwas kleinere Saal war das Privatzimmer des Professors, in dem die großen, die schwierigen, die hoffnungslosen Fälle ihm persönlich in die Hand gegeben wurden.
Auch dieser Saal war weiß gekachelt, mit einem riesigen Fenster und zehn breiten Strahlern von der Decke. Aber doch herrschte in diesem Zimmer eine andere Luft als in den drei anderen Operationsräumen. Man spürte hier etwas von der Einmaligkeit des Geschehens, das sich unter weißen Tüchern abspielte, unter Atemmasken, Kopfhauben und dünnen Gummihandschuhen. An den Wänden standen die Instrumentenschränke, in einem Nebenraum, durch eine Glaswand getrennt, war die blinkende Waschanlage mit der Sterilisierbüchse, in der die Operationswäsche lag, dem Behälter mit den Handschuhen und Gesichtsmasken. Verschiedene Operationstische standen nahe dem
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