Viele Mütter heißen Anita
dann nur selten sehen.«
»Warum sagst du das?« rief er gequält. »Ich habe daran immer gedacht, ich habe gefürchtet, daß du es sagst.« Er küßte sie mit einer Wildheit, die ihr den Atem nahm und es war eine Wildheit, die ihre Kraft aus der Verzweiflung zog. »Concha, Concha«, stammelte er unglücklich. »Warum sollen wir uns nicht sehen und doch lieben? Ich will an dich denken, an jedem Tag, der über die Dächer der großen, steinernen Häuser kommt, an jedem Abend, wenn die Lichter in den Straßen aufflammen. Und du sollst es auch tun, und wir werden uns nicht vergessen. Wenn ich dann wiederkomme, bin ich ein bekannter Mann, und dein Vater wird mich empfangen und mich anhören.«
»Und wenn du nicht wiederkommst, Juan?«
»Das gibt es nicht.«
»Toledo ist eine große Stadt, und ihre Frauen sind schöner, viel schöner als ich …«
»Ich will arbeiten in Toledo«, sagte er fest. »Nichts als arbeiten …«
So standen sie lange beieinander, umarmt, aneinandergeschmiegt, glücklich und traurig zugleich. Sie wußten, daß es ihr letztes Zusammensein war und daß jetzt eine lange Zeit der Sehnsucht folgen würde.
Als sie auseinandergingen, stand Juan am Wegrand und blickte Concha nach, wie sie langsam zu dem Dorfe zurückging. Ihr Körper wippte ein wenig auf den langen Beinen, die schwarzen Locken fielen reich über die Schulter, und er sah, wie ihr Rücken zuckte, dieser schöne, in den Schultern und der Halsbeuge betörend geschwungene Rücken. Sie weinte.
Er aber stand und sah ihr nach, starr und stumm, als nehme er dieses Bild mit in die Fremde.
Wo sich die Straße senkte, blieb Concha stehen und drehte sich um. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr erkennen – er sah nur, daß sie ihm winkte. Und er hob beide Arme und ließ sie durch die Sonne kreisen und winkte noch immer, als sie schon weiterging und ihm wieder den Rücken zukehrte.
Dann drehte er sich herum und ging in die Berge zurück. Sein Herz schlug wild, als läge es in einem Panzer und wolle sich befreien. Er atmete tief, blieb stehen und hob die Arme, wie es einer tut, der keine Luft bekommt.
In wenigen Tagen war er in Toledo. Es war ein Weg, vor dem er Angst empfand. Warum, das konnte er nicht sagen.
Es ist so schwer, den ersten Schritt in eine fremde Welt zu tun …
Die Tage gingen schnell vorüber. Der August wich dem September, und Dr. Osura erschien mit seinem alten Ford vor dem Haus der Torricos.
Anita sah aus dem Fenster, auch Pedro und Elvira waren im Hof bei den Kühen und Hühnern. Sie alle wußten plötzlich, daß es Ernst geworden war.
Sie sollten Juan verlieren …
Dr. Osura fuhr bis vor die Haustür und stieg dann aus. Er holte vom Rücksitz einen Stapel Pakete, große und kleine, legte sie auf die Bank und gab dann Anita, die in der Tür erschien, die Hand.
»Ist es soweit?« fragte sie gefaßt. Sie sah auf die Pakete und wußte nicht, was sie bedeuteten.
»Ja, Anita, mein Täubchen.« Dr. Osura war in der besten Laune. Er zwang sich innerlich dazu, um den Abschied so schnell und formlos wie möglich zu gestalten. Anita durchschaute ihn und blickte zurück in die Hütte, wo Juan am Tisch saß, bewegungslos, mit trüben Augen.
Jetzt muß ich gehen, schrie es in ihm. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich werde die Mutter nicht mehr sehen, Concha nicht, nicht mehr Pedro und Elvira, die Felder, die Kühe, die Berge, den Rebollero, meine geliebte Höhle, wo ich so oft allein glücklich war. Ich werde in einer großen Stadt sein, unter Tausenden von Menschen nur ein Unbekannter, keiner wird sich um mich kümmern, alle werden sie feindlich gegen mich sein …
Dr. Osura kam ihm entgegen, beladen und keuchend unter den Paketen.
»Juan! Es geht in die Welt!« rief er fröhlich. »Komm in die Kammer – jetzt mache ich einen feinen Herrn aus dir!« Und zu Anita gewandt, rief er: »Schnell, mein Käferchen, eile, fliege – wir brauchen eine große Schüssel mit Wasser und Seife und ein Handtuch …«
Es ging voraus in Juans Kammer, und Juan folgte ihm, während Anita aus dem Kessel über dem Herd eine Schüssel mit heißem Wasser füllte und in die Kammer trug. Dort stand Juan bereits mit entblößtem Oberkörper, nur mit einer Hose bekleidet. Dr. Osura saß zwischen ausgepackten Kartons, aus denen ein Anzug hervorsah, ein helles Hemd, eine Krawatte, Wäsche, wie sie Anita noch nie gesehen hatte, und horchte mit dem Membranstethoskop die Brust und den Rücken Juans ab.
»Alles in Ordnung!« rief er Anita froh entgegen.
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