Viele Mütter heißen Anita
großen Stadt werden würde. Wenn auch Dr. Osura gesagt hatte, er wohne bei einer netten, alten Dame, die ihn bemuttere – Anita schüttelte den Kopf und sagte:
»Es gibt keinen anderen Menschen, der eine Mutter ersetzt!«
Da hatte es Dr. Osura vorgezogen, zu schweigen und war gegangen. Zu Pedro aber bemerkte er: »Du mußt, vielleicht nach einem Monat, mit der Mutter nach Toledo fahren. Es ist besser, Pedro. Solange sie nicht sieht, wie Juan lebt, wird sie nie froh werden.«
Und Pedro versprach es Dr. Osura mit Handschlag und begann, in diesem Monat zu sparen, wo er konnte. Er rauchte nicht mehr, er trank in Solana del Pino nicht mehr sein Viertelchen Rotwein, er kaufte nichts Neues … er legte die Peseten zur Seite und freute sich, daß es immer mehr wurden und der Mutter geheimer Wunsch bald in Erfüllung ging.
Elvira wurde in dieser Woche stiller. Sie hatte nach einer Untersuchung durch Dr. Osura Gewißheit erhalten, daß die Familie der Torricos nicht ausstarb, und Pedro war stolz darauf, erzählte es in Solana del Pino allen Nachbarn und brüstete sich damit, daß es selbstverständlich ein Sohn werde. »Und wenn es wirklich ein Rock wird – na ja, Freunde, man ist ja noch jung!« sagte er lachend, und es war das erste- und das letztemal, daß er einen Schoppen Wein ausgab und eine Zigarre rauchte auf Kosten des noch in weiter Ferne liegenden Ereignisses.
Anita nahm diese Freudenbotschaft still und freundlich auf. Der älteste Sohn war nun aus ihrer Hand – er war selbst ein Vater und wußte, wie er sein Leben vollenden konnte. Aber der Juan, der kleine arme Junge, war allein in der großen Stadt, und das quälte sie, auch wenn sie wußte, daß es nur zum Besten war, wenn Juan die Welt sah.
Einmal in dieser Woche kam auch Concha aus Solana herauf. Sie fragte nach, ob Juan schon geschrieben habe und ob man wisse, wie es ihm gehe. Anita war allein, und sie nahm das Mädchen zu sich auf die Bank vor dem Haus und faßte die schlanken, zarten Hände.
»Du liebst ihn sehr, Concha?« fragte sie.
Das Mädchen schaute schamhaft zu Boden, als es sich so klar angesprochen sah. Aber es nickte und war traurig, weil diese Liebe so fern war.
»Wenn du ihn liebst, willst du ihn doch auch sehen, Concha?« Anita beugte sich vor und schaute in ihre Augen, die blank waren von zurückgedrängten Tränen. »Du willst meinen Juanito doch küssen, nicht wahr?«
»Ja«, hauchte sie. »Aber es geht doch nicht.«
»Hat dein Vater, der reiche Ricardo Granja, nicht ein schönes großes Auto? Könnte er nicht einmal nach Toledo fahren?« Anita umklammerte die Hände Conchas. Es war, als liege in diesen Händen das Schicksal ihres alten, verbrauchten Lebens. »Kannst du deinen Vater nicht überreden, nach Toledo zu fahren? Du könntest mir dann erzählen, Conchita, wie es ihm geht, ob er gut aussieht, ob er glücklich ist … ob er … ob er an mich denkt …« Und plötzlich weinte Anita, und es war wieder das stille, lautlose Weinen, dieses einfache Herausrinnen der Tränen aus den alten Augen, das so ergriff und so duldsam war.
Concha hatte Angst, neben der alten, weinenden Frau zu sitzen, denn sie wußte auch nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie zog die Hände leise zurück und begann zu zittern.
»Aber ich kann dem Vater doch nicht sagen, daß ich Juan sehen will«, sagte sie weinerlich.
»Du dummes Mädchen!« Anita schüttelte den Kopf. »Sag ihm, du möchtest einmal mehr sehen als nur Puertollano oder Mestanza. Du möchtest etwas vom Leben haben, denn du seist jetzt alt genug. Vielleicht ist in Toledo gerade eine Fiesta, die du besuchen willst. Concha …«, sie ergriff wieder die Hände des Mädchens und zog es zu sich heran. »Concha … du mußt zu Juan fahren – ich habe solche Angst um ihn …«
Concha nickte. »Ja«, sagte sie leise. »Ich will es versuchen. Soll ich etwas mitnehmen?«
»Ja, Concha … ach ja …« Anita erhob sich und rannte ins Haus. Sie brachte ein kleines Päckchen mit, das sie dem Mädchen in die Hand drückte. »Es ist der Ring von Juans Vater. Ich habe ihn bis heute versteckt gehalten. Es ist ein wertvoller Ring, golden mit einem großen Stein. Den soll Juanito tragen, und er wird ihm Glück bringen und ihn immer an zu Hause erinnern. Sein Vater war ein guter Mann … er soll es auch werden …«
Concha steckte das kleine Päckchen in die Tasche und stand von der Bank auf. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie schnell.
»Und du fährst zu Juan?«
»Wenn es geht, ja.«
»Oh
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