Viele Mütter heißen Anita
– ich danke dir.« Und die alte Anita umarmte das junge Mädchen und küßte es auf die Wangen. Es war ein Kuß, in dem ihre ganze verborgene mütterliche Sehnsucht lag, und Concha fühlte es und ertrug den Kuß mit geschlossenen Augen. Dann wandte sie sich um und rannte den kleinen Hang hinab in die Berge, nach Solana del Pino zurück.
Anita stand noch vor dem Haus und blickte ihr nach. Ein liebes Mädchen, dachte sie glücklich. Juan könnte mit ihr froh werden, wenn sie nicht unerreichbar für ihn wäre. Der reiche Granja und der arme Juan … Sie schüttelte den Kopf und machte sich nicht weiter Gedanken darüber, wie ungerecht das Leben ist. Auf dem Herd kochte das Wasser für die Schweinekleie – sie mußte eilen, daß es nicht überkochte.
Ächzend trug sie den Kessel zum Futtertrog und goß das dampfende Wasser auf die Kleie. Und dann rührte sie wieder mit dem langen, Holzlöffel, und ihre Gedanken gingen hinaus über das rauhe Land Castilla zu der schönen Stadt am Tajo, wo Juanito jetzt in einem großen Haus saß und lernte.
Und sie war froh, als Pedro kam und etwas lautes Leben in das Haus brachte. Es lenkte sie ab und gab ihr andere Pflichten, als zu denken.
Und das ist gut, fühlte sie. Das ist sehr gut für ein trauriges Herz …
Der Ton einer lauten elektrischen Schelle gellte durch das große Glashaus. Oben, unter dem Dach, wurden die breiten Schiebetüren des Ateliers zur Seite gedrückt, und die jungen, angehenden Künstler strömten auf den Gang und über die Treppe ins Freie. Es waren meist Mädchen und junge Männer im Alter Juans, einige etwas äl ter, aber bestimmt keiner jünger, nur vielleicht einige Mädchen, die in der Zeichen- und Modeklasse lernten und mit ihren langen, bis über die Schultern fallenden Haaren, den modernen, weiten, sa lopp-amerikanischen Bikinihemden und den dreiviertellangen Cord samthosen etwas aufreizend und fremd aussahen für die Welt, wie sie sich Juan vorgestellt hatte.
In der Klasse II B, der Meisterklasse für Bildhauerei, lernten zehn Schüler und zwei Schülerinnen unter Prof. Yehno. Dieser war ein schon alter Mann, klein, mit einer schiefen rechten Schulter und einer wallenden schneeweißen Lockenmähne, die ihm beim Anleiten immer über die Augen fiel und die er dann mit einem Ruck seines Kopfes zur Seite warf. Man sah dieses kleine Schauspiel gern, und manche Schüler ließen bewußt einen Fehler unterlaufen, nur, um Prof. Yehno an den Stein zu bringen und den Kampf mit seinen Haaren zu besehen.
Als Juan in den Saal trat, nahm kaum einer von ihm Notiz. Prof. Yehno trat auf ihn zu, gab ihm die Hand und zeigte auf einen Ständer, an dem noch einige weiße Mäntel hingen.
»Suchen Sie sich einen passenden aus«, sagte er, »und kommen Sie dann zu mir. Ich will sehen, was ich mit Ihnen unternehmen kann.«
Und Juan zog sich einen weißen Kittel an, ging langsam an den Gipsmodellen und Steinblöcken der anderen Schüler vorbei und sagte sich, daß er nie im Leben so schöne Bilder aus dem Stein schlagen würde wie diese Männer und Mädchen, die so viel mehr konnten als er.
Dieser erste Vormittag ging schnell herum. Man nahm seine Personalien auf, man unterrichtete ihn über den Stundenplan, der Zeichnen, Modellieren, Anatomie, Aktzeichnen und Kunsthistorik umfaßte, er bekam einige Mappen in die Hand gedrückt, die Abbildungen von Werken aus der Akademie entlassener Schüler zeigten, und er durfte sich in eine Ecke setzen und den anderen zuschauen, wie sie unter der Leitung Prof. Yehnos ein Tonmodell in Gemeinschaftsarbeit anfertigten, nach dem in natürlicher Größe aus weichem Sandstein eine Plastik gestaltet werden sollte. Eine Klassenarbeit, die ein weites Feld von Individualität offen ließ, da das Tonmodell nur als eine Anleitung dienen sollte.
Das Modell eines menschlichen Armes, ohne Hände – nur der Unterarm und die Muskeln des Oberarms.
Juans Blick glitt über das Tonmodell und die Zeichnungen, die seine Kameraden nach ihm anfertigten. Er selbst durfte nicht mitarbeiten … er sollte nur zuschauen, denn es war eine Idee von Prof. Yehno, daß ein neuer Schüler erst seine Augen schulen soll, ehe er zu Hammer und Meißel greift.
Prof. Yehnos Stimme war klar und nüchtern, als er noch einmal die Muskeln und Sehnen erklärte, die dem Arm – es war ein männlicher Arm – seine charakteristische Form geben. Dann sah er die Zeichnungen durch, verbesserte dort, strich woanders weg und lobte ab und zu eine gute Auffassung des Themas. Bei
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