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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schämte sich, daß ihn der Jähzorn übermannt hatte und er seinen Lehrer und Gönner schlug.
    »Verzeihen Sie mir, Herr Professor«, sagte er leise. »Aber Sie haben mich so erregt … Ich wußte nicht mehr, was ich tat …«
    »Schon gut, Juan.« Tortosa steckte das blutige Taschentuch wieder ein und erhob sich. »Es bleibt also dabei – wir fahren nach Madrid, und Sie kommen zu mir nach Hause, wenn Sie Lust haben.«
    »Ja, Herr Professor«, antwortete Juan beschämt. Er wollte zu Tortosa laufen und ihm noch einmal die Hände drücken – aber er war schon allein im Zimmer. Tortosa war gegangen.
    Auf der Straße hörte er kurz danach das Aufbrummen des Automotors, dann klopfte es, und Frau Sabinar eilte erregt in das Zimmer. Sie schlug dramatisch die Hände über dem Kopf zusammen und ließ sich in den Sessel fallen, in dem vor wenigen Augenblicken noch Tortosa hockte.
    »Was sagte der Herr Direktor?« jammerte sie laut. »Sie wollen mich verlassen, Señor Torrico? Sie wollen nach Madrid ziehen? Gefällt es Ihnen nicht bei mir? Habe ich mir nicht die größte Mühe gegeben? O Maria, o beste Mutter – was kann ich denn noch für Sie tun, Herr Torrico?«
    »Ich muß fort«, sagte Juan und versuchte, die aufgeregte Frau zu beruhigen. »Ich will es nicht – es gehört zu meiner Ausbildung.«
    »Oh, wie unglücklich bin ich!« jammerte Frau Sabinar. Sie dachte daran, daß sie nun Dr. Osura bestimmt nicht wiedersehen würde, und das grub eine große Wunde in ihr Herz. »Wann wollen Sie denn fahren?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht noch diese Woche.«
    »O Maria, welch ein Unglück!«
    »Ich warte nur noch auf die Ankunft Doktor Osuras.«
    Frau Sabinar zuckte auf, und in ihre Augen trat ein heller, freudiger Glanz. »Der Herr Doktor wird Sie abholen?«
    »Ja, Señora.«
    Da sprang sie auf, und es war ein jugendlicher Sturm, der sie durchzog. »Ich muß das Haus noch putzen!« rief sie. »Wenn Sie etwas brauchen, Señor Torrico, dann kommen Sie bitte zu mir in die Küche …«
    Und sie eilte aus dem Zimmer und rief zwei Putzerinnen ins Haus, damit es glänze und Dr. Osura auch gefalle, wenn er kommt, denn ein guter Arzt ist in Toledo immer angesehen, und Raum für eine große Praxis hatte das Haus der Maria Sabinar bestimmt.
    An diesem Abend schrieb Juan den Brief an die Mutter zu Ende. Er berichtete von dem großen Glück, nach Madrid zu kommen, von seiner guten Gesundheit und von der Hoffnung, alle, die Mutter, Pedro, Elvira, Concha und die lieben, guten Tiere in fünf Wochen wiederzusehen. »Betet für mich«, schrieb er zuletzt, »daß ich mein Ziel erreiche und unserem Namen Ehre mache. Betet und seid glücklich mit mir … Euer Juanito …«
    Er schloß das Kuvert, er holte sich von Frau Sabinar eine Briefmarke, steckte das Schreiben selbst in einen Briefkasten an der Ecke der Rua de los Lezuza und freute sich, daß er endlich der Mutter etwas Schönes berichten konnte, etwas Schönes, worüber sie sich freuen konnte …
    Dann ging er ein wenig durch die Straßen und betrachtete die Auslagen in den Geschäften und träumte davon, was er der Mutter alles schenken würde, wenn er einmal selbst Geld verdiente und ihre Liebe belohnen konnte mit kleinen Aufmerksamkeiten und erfüllten Wünschen.
    Lange stand er vor einem Modegeschäft und sah durch die große Scheibe auf die schönen Kleider. Ob sie auch Kleider für kleine, alte, dicke Frauen haben, dachte er. Ich möchte der Mutter so gerne ein neues Kleid kaufen. Und während des Denkens stahl sich ein witziger Gedanke in seinen Kopf, er rannte die Straßen zurück in sein Zimmer, schloß sich ein, riß den Zeichenblock aus der Kommode und begann, am Fenster sitzend, das Panorama zu zeichnen, das sich von hier aus ihm darbot.
    Die beiden geschwungenen, belebten Brücken, der Fluß mit den Anglern und den Obstbooten, das andere Ufer mit den weißen Villen und dem Glaspalast der Akademie und dahinter die fernen Berge Kastiliens, die Rauheit des Hochlandes, das er so gut kannte.
    Es wurde ein schönes Bild, kraftvoll und durchzogen von Leben. Und er malte es dreimal an diesem Nachmittag und dem nachfolgenden Abend – dreimal, und doch immer anders … so, wie es die Gegenwart ihm gerade bot. Einmal war der Fluß leer, und nur die Brücken sprachen im Bild, das andere Mal – es war das letzte Bild – leuchteten die Fenster der Akademie durch den Abend, und der Tajo war dunkel von abendlichen Wolken, während die Brücken sich über ihn spannten wie

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