Viele Mütter heißen Anita
…
Mit diesem Gedanken schlief sie ein, und mit diesem Gedanken erhob sie sich am Morgen und tat ihre Arbeit wie alle Tage, still, geduldig, zum Segen der Erde und des großen Sohnes, der seit Tagen glücklich war, weil Dr. Osura ihn belogen hatte und sagte, Juan gehe es gut …
An diesem Tage fuhr Concha nach Toledo ab. Ricardo Granja brachte Frau und Tochter mit dem Auto bis Puertollano, wo sie in den Zug stiegen, der nach Toledo fuhr. Pilar Granja saß dick und würdevoll im Abteil am Fenster und winkte ihrem Mann zu, der erregt über die wenigen Tage Freiheit mit dem Taschentuch durch die Luft wedelte, daß es eine Freude war, ihm zuzusehen. Concha saß still in der anderen Fensterecke und starrte hinaus auf die Berge, die langsam entschwanden. Rauh war das Land, durch das der Zug fuhr, bergig, trocken, öde, unfruchtbar, bevölkert nur von großen Schafherden und einigen Ziegen, die das harte Gras zwischen den Steinen hervorrupften und es knirschend kauten.
Ab und zu sah Concha auf die Mutter. Pilar saß, in die Ecke gedrückt, und las einen dicken Roman, in dem von viel Liebe und einem feurigen Torero die Rede war. Ab und zu seufzte sie und dachte, daß so ein Leben sei, wie sie es sich gewünscht hatte. Und dann überkam sie wieder die Atemnot, und sie schloß die Augen und freute sich auf den neuen Schmuck, den ihr Ricardo bewilligt hatte.
Der Morgen war schön. Die Sonne brannte heiß durch das Fenster und ließ den Staub flimmern. Wie ein Silberschleier stand er in den Strahlen, die durch die Scheibe fielen.
Concha griff in die Tasche ihres Reisekleides. Dort lag das schmale Paket Anita Torricos für Juan.
Der Siegelring seines Vaters.
Er sollte Glück bringen, wie er dem Vater Glück gebracht hatte.
Und Concha freute sich, daß sie ihm dieses Glück über den Finger streifen konnte …
In dem gläsernen Vorraum des Saales IV stand Prof. Dr. Moratalla und wusch sich die starken Hände in der sterilen Lösung. Die weiße, runde Kappe hatte er in den Nacken geschoben, der lange, wei ße Kittel war noch mit Blut bespritzt. Die braunrote Gummischürze lag auf den Fliesen wie nach einem Schlachtfest. Im Operations raum, unter den großen Tiefstrahlern, arbeiteten noch Dr. Albanez und Dr. Tolax. Sie vernähten die Wunde einer Nierenresektion. Un ter dem Operationstisch, in einem weißen Eimer, lag die herausgenommene, vereiterte Niere zwischen Verbandmull, Zellstoff, Tup fern und Catgutstücken. Die Oberschwester, die jeder Operation des Chefs beiwohnte und persönlich die Instrumente zureichte, schwitzte und trat etwas zur Seite, um freier atmen zu können. Der süßliche Geruch von Blut und Eiter erfüllte den Raum und hemm te das tiefe Atmen in der Nähe des Operierten.
Dr. Tolax sah hinüber zu Prof. Moratalla, der hinter der Glaswand seinen Mantel auszog und die Ärmel seines Hemdes herunterrollte. Noch saß auf seinem Kopf die weiße Kappe – er schien sie vergessen zu haben. Ein Stationsarzt der inneren Abteilung sprach auf ihn ein – es schien eine wichtige Unterredung zu sein.
Dr. Tolax nickte zu der Glaswand hinüber und sah Dr. Albanez an.
»Es gibt heute anscheinend keine Ruhe«, sagte er leise, während er die Catgutfäden durch die oberen Hautlappen zog und geschickt verknotete. »Wenn er doch bloß nicht die Phantastereien mit seiner Herzchirurgie hätte! Jetzt zieht er die Internisten auch noch in die Operationssäle!«
Dr. Albanez räumte die Instrumente zusammen und sah zu der Schwester hinüber, die am Narkotisierapparat den Pulsschlag und die Herztätigkeit des Operierten kontrollierte. Die junge Schwester nickte. Alles normal. Dr. Albanez atmete auf.
»Der Chef hat gestern einen Affen operiert. Blutkreislauf außerhalb des Körpers und eine Verkleinerung des rechten Herzohrs. Für den Fall eines Geschwüres im Herzen. Die Operation gelang fabelhaft …«
»Und der Patient?« fragte Dr. Tolax gespannt.
»Der Affe starb nach vier Stunden an einem Kollaps. Es half nichts … nicht einmal eine an der Grenze liegende Dosis Strophantin.«
»Na also!« Dr. Tolax winkte. Die Maske wurde abgenommen. Die Tücher waren durch andere, saubere, angewärmte Laken ersetzt und der Patient zur Seite gerollt. »Aber der Chef will es nicht wahrhaben, daß es ein Phantom ist, dem er nachjagt.«
Er schwieg, denn Prof. Moratalla betrat wieder den Operationssaal und ging schnell auf die beiden Ärzte zu, die ihre Gummihandschuhe abstreiften und in einen Kasten warfen. Moratalla schien sehr
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