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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Klebränder entlangfuhr, damit er auch nicht aufgehe, steckte sie ihn in die Schürze und rannte aus dem Haus der Straße zu, wo sie sich auf einen Stein setzte und in der Sonne wartete, bis ein Nachbar oder sonst jemand des Weges kam.
    Einem Viehhändler, der die Höfe in den Bergen besuchte, gab sie schließlich das Schreiben mit und bat ihn, den Brief bloß nicht zu vergessen. Dann ging sie zum Hof zurück und stellte sich wieder an den Herd, so, wie sie seit Jahrzehnten davor stand, und das Mittagessen wurde pünktlich fertig, und es schmeckte allen gut.
    Am Nachmittag ließ Concha durch einen Knecht, der etwas von Ricardo Granja bestellen mußte, sagen, daß sie morgen mit der Mutter nach Toledo fahre und Juan sprechen würde. Da wurde Anita noch stiller und trauriger, denn es schmerzte sie, daß nun ein junges, fremdes Mädchen ihren Juan zuerst in seiner Not sah und nicht seine Mutter. Aber das Leben nimmt nun einmal keine Rücksicht auf die Gedanken einer alten Frau, und Anita schien es zu wissen und nahm auch dieses hin wie eine Prüfung Gottes, dessen Vatergüte sie von Tag zu Tag weniger verstand, ohne an ihr zu zweifeln. O nein, sie betete immer vor dem ewigen Licht zu der Mutter Maria von Fatima, das in der Ecke der Küche stand und durch das rötliche Papier ein wenig süß und kitschig schimmerte. Anita aber genügte es, wenn sie betete, und sie holte sich ein bißchen Kraft in dem Gedanken, daß ihre Bitten doch einmal zum Ohre Gottes dringen und ihn zu einem Blick auf das Schicksal der Torricos leiten könnten.
    Als der Knecht wieder abfuhr, ließ Anita Concha bestellen, daß sie Juan fragen solle, wann er wieder nach Hause käme. Und sie solle nicht vergessen, den Ring abzugeben, den sie ihr überreicht habe, denn dieser Ring sei ein wertvolles Stück, und sie habe ihn dem toten Vater Juans vom Finger gezogen, bevor der Deckel des einfachen Sarges zugenagelt wurde.
    Und dann gab sie dem Knecht etwas Geld, damit er Juan in Solana del Pino ein paar Süßigkeiten kaufen konnte, denn Juan mochte so gerne Milchschokolade oder die Karamellen in den gewachsten bunten Papieren.
    Als Pedro am späten Nachmittag von den Gärten kam, sagte sie ihm nur, daß ein Knecht Granjas hiergewesen sei und eine Bestellung für zwei Körbe Äpfel aufgegeben habe. Pedro war erfreut, denn der Erlös bedeutete, daß er und die Mutter in der nächsten Woche nach Toledo fahren konnten und sich nichts von Granja oder den Nachbarn zu leihen brauchten.
    So ging auch dieser Tag vorüber. Anita legte sich früh zu Bett und wußte nicht, ob sie recht gehandelt hatte, an den großen Prof. Moratalla geschrieben zu haben. Es beruhigte sie, daß sie es getan hatte, und es forderte sie zum Nachdenken auf, ob ihre Worte richtig waren.
    Aber wer achtet auf die Wahl der Sprache, wenn er sich um einen Menschen sorgt?
    Sie lag noch lange wach und sagte sich, daß ihr Leben nur Sorge gewesen war. Nun sollte auch das Alter ausgefüllt sein mit Angst und Leid, und es würde bis zu ihrem Ende nichts anderes geben als das Zittern um ihr jüngstes Kind, als das grauenhafte Warten auf diese zwei oder drei Jahre, die er nach Dr. Osuras Ansicht noch zu leben hatte.
    So lag sie starr und steif im Bett, ohne Tränen, denn sie konnte nicht mehr weinen, wie es überhaupt eine Grenze des Leides gibt, hinter der es so groß und schwer und unglaubwürdig wird, daß die Tränen versiegen vor der brennenden und nicht zu beantwortenden Frage, warum es solch einen Schmerz im Leben eines kleinen, unschuldigen Menschen gibt. Auch Anita hatte gebetet, hatte vor der Figur der Maria von Fatima und vor dem Kruzifix gelegen, hatte eine neue Kerze geopfert und heimlich – damit es Pedro nicht merkte – nach Solana del Pino eine Botschaft an den Pfarrer geschickt, in der Kirche am Sonntag ein kleines Gebet für Juan Torrico mitzusprechen. Sie hatte sich an alles geklammert, woran sich ein Mensch in der höchsten Not wenden kann – sie hatte mit Gott gerungen wie einst Hiob, und sie war auch niedergefallen und hatte gesagt: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? Aber es war ein kleiner Trost in dem Leid, und Anita lag nun in ihrem Bett, steif wie ein abgefallener Ast, und starrte auf das Flämmchen in der roten Hülle des ewigen Lichtes unter der Maria von Fatima.
    Juan, dachte sie. Wenn ich dich retten könnte, wenn ich die Macht hätte, dich zu erlösen von deinem Leid – ach, Juan, warum sind wir Menschen so verlassen im Leid

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