Viele Mütter heißen Anita
erregt zu sein, denn sein Schritt war laut und hallte über die weißen Fliesen.
»Meine Herren!« sagte er. Seine Stimme dröhnte in dem weiten Raum. »Soeben meldet mir die Innere, daß sie ein Schreiben, das an mich gerichtet war und der Zuständigkeit halber an sie ging, bearbeitet hätte, in dem ein Kollege aus Mestanza in Castilla berichtet, daß er einen Fall von einem bösartigen Herzbeutelgeschwür habe mit Gewebeangreifung. Der junge Mann – er ist neunzehn Jahre alt – soll mir noch diese Woche vorgestellt werden. Was halten Sie davon, meine Herren Kollegen?«
»Wenig«, sagte Dr. Tolax grob.
»Wieso denn, Herr Oberarzt?«
»Weil es nicht zu operieren ist! Wir haben drei Fälle gehabt, die mit einem Exitus endeten.«
Prof. Moratalla winkte ab. Sein Gesicht drückte deutlich die Enttäuschung aus, von seinem Oberarzt solcherart verlassen zu werden. »Es gab eine Zeit, Doktor Tolax«, rief er laut, »in der jeder zweite Blinddarm tödlich war. Bevor man das Streptomyzin entdeckte, war Gehirnhautentzündung fast hoffnungslos, wie es heute noch die multiple Sklerose ist oder eine fortgeschrittene Kinderlähmung. Auch das Herz ist nur ein Teil des Körpers und nicht unangreifbar! Man muß nur den Mut haben und Vertrauen zu sich selbst!«
Dr. Tolax schwieg. Er sah die Sinnlosigkeit ein, gegen die ideellen Argumente seines Chefs zu sprechen – er kannte die Antworten auf alle Fragen im voraus – sie waren von einem genialen Schwung, der gefährlich an der Grenze der Übersteigerung menschlicher Möglichkeiten lag. Auch Dr. Albanez, der bei dem Affenversuch des Professors assistiert hatte, schwieg. Und dieses Schweigen war es, das Moratalla stutzig machte und ihn plötzlich mitten in der Rede stocken ließ. Er sah seine Assistenten an und blickte dann dem Patienten nach, der, noch in der Narkose, aus dem OP gefahren wurde, zugedeckt mit warmen Tüchern und begleitet von zwei Krankenwärtern und einer Schwester.
»Da –«, sagte Moratalla laut und zeigte auf die Tür, die eben zugeschoben wurde. »Dieser Mann wäre noch vor vierzig Jahren verloren gewesen. Vereiterte Niere – wir haben sie einfach herausgenommen, und er kann weiterleben! Einfach herausgenommen! Ich betone: einfach! Es war doch einfach, nicht, Herr Oberarzt?«
»Allerdings«, sagte Dr. Tolax leise. »Die Methode der Nierenresektion ist so erprobt, daß …«
»Immer das gleiche!« rief Prof. Moratalla. »Erprobt! Welch dummes Argument! Vorher muß es doch einen Mann gegeben haben, der es zum erstenmal wagte, dieses wichtige Organ herauszunehmen. Er muß den Mut gehabt haben, gegen alle Vorurteile, wie sie jetzt mir von Ihnen begegnen, anzukämpfen und diesen Eingriff in die Natur zu unternehmen! Oder glauben Sie, daß eine vereiterte Niere vor Jahrzehnten einfach aus dem Körper gesprungen ist und gesagt hat: Bitte, meine Herrn Chirurgen – hier bin ich. Juchhei – es geht gut mit einer Niere im menschlichen Körper?«
Dr. Albanez mußte über diesen sarkastischen Ausspruch lächeln, doch Dr. Tolax wurde rot im Gesicht und sah verbissen zu Boden. »Sie sind der Chef, Herr Professor«, sagte er steif. »Wenn Sie es wagen, assistiere ich Ihnen. Das ist selbstverständlich.«
»Selbst das sollen Sie nicht, Doktor Tolax. Ich möchte nur, daß Sie ungläubiger Thomas neben mir stehen und mir – wenn ich einen einzigen Griff falsch mache – sagen, wie es richtig ist. Wenn Sie das können, werde ich mich dafür einsetzen, daß Sie Chef des staatlichen Krankenhauses in Bilbao werden. Man sucht dort einen Chef der chirurgischen Abteilung.«
Dr. Tolax zuckte zusammen. »Herr Professor …«, stammelte er. »Sie wollen mich empfehlen …«
»Warum nicht?« Moratalla klopfte dem Oberarzt leicht auf die Schulter. Sein Gesicht war zufrieden. »Sie sind ein ganz brauchbarer Bäucheaufschneider und Blinddarmabknipser!« Und dann sah er zu Dr. Albanez, der etwas zurückgetreten war. »Sind noch Operationen auf dem Plan?«
»Nein, Herr Professor. Für heute ist Feierabend.«
»Denken Sie, meine Herren. Behalten Sie bitte Ihre Schürzen um … wir gehen jetzt an die Kaninchen und Affen.«
Er ging ihnen voraus durch die breite Glastür, nahm im Waschraum seinen Mantel wieder über den Arm und verließ dann den Operationsraum. Dr. Tolax und Dr. Albanez folgten ihm stumm, aber beim Gehen sahen sie sich an, und ihre Blicke sprachen mehr, als es ihre Zungen vermochten.
Doch der Weg ging nicht gleich in den Versuchskeller neben der Anatomie,
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