Viele Mütter heißen Anita
sondern Prof. Moratalla führte sie zuerst in sein Zimmer, wo in einem Leuchtkasten zwei Röntgenbilder eingezogen waren. Wortlos ließ Moratalla das Licht aufflammen, und in klaren Linien lag der Brustraum eines Menschen vor den Blicken der Ärzte.
»Der kritische Fall, meine Herren«, sagte Moratalla leise und setzte sich. Er schnitt sich seine Zigarre ab, zündete sie an und beobachtete dann stumm die Ärzte, die das Röntgenbild eingehend betrachteten. Eine schwenkbare große Lupe über dem Leuchtkasten erlaubte es, Teile des Bildes herauszuziehen und in starker Vergrößerung sehen zu lassen. Dr. Tolax betrachtete lange das Herz und suchte mit der Lupe die kleine, dunkle Stelle ab.
»Ein klares Todesurteil«, sagte er leise und richtete sich auf.
»Hm«, antwortete Moratalla. »Und was meinen Sie, Doktor Albanez?«
»Ich bin mit Kollege Tolax einer Meinung. Das Geschwür ist bösartig und greift die Zellen an. Wenn man nicht wüßte, daß sich Krebs die Schleimhäute und drüsigen Organe aussucht, um auf den Lymphwegen weiterzuwandern und sekundär Metastasen zu bilden, könnte man an einen Herzkrebs denken. Den gibt es aber nicht.«
»Allerdings, den gibt es nicht«, bestätigte Prof. Moratalla. »Karzinom schaltet also aus! Wäre das Geschwür woanders, könnte es eine Lymphogranulomatose sein … aber hier haben wir einen Herzbeutel, meine Herren! Wir müssen uns begnügen, zu sagen, daß es sich um ein seltenes Herzsarkom handelt, wenn es mir auch rätselhaft ist, wie es in die Innenwand des Herzbeutels kommt.«
»Vielleicht durch Vererbung.« Dr. Tolax sah den ungläubigen Blick Moratallas und sprach schnell weiter. »Denken Sie bitte an die erst 1925 entdeckte und von Frey durch Impfprobe bewiesene Lymphogranuloma inguinale, diese neue Geschlechtskrankheit mit entzündlicher Schwellung der Leistendrüsen! Auch sie ist erblich! Wissen wir, ob sich nicht auch am Herzen erbliche Geschlechtskrankheiten auswirken?«
Prof. Dr. Moratalla erhob sich und blies den Rauch seiner Zigarre gegen den Leuchtkasten, in dem noch immer die Röntgenbilder leuchteten. Er betrachtete den schwarzen Fleck und die Ränder des Geschwüres und schüttelte den Kopf.
»Wir wollen uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, Doktor Tolax. Das überlassen wir den Zellpathologen. Für uns Chirurgen ist es nur wichtig: Wie kommt man an dieses Geschwür heran! Man kann es operieren … nichts leichter als das! Aber dann ist der gute Junge Juan Torrico mausetot, denn ohne Herzbeutel kann er nicht leben. Andererseits stirbt er auch, wenn wir nicht operieren – vielleicht in einem oder in zwei Jahren, es kommt darauf an, welches Leben er führt. Liegt er viel, schont er sich, ißt er gut und regt sich niemals auf, kann er auch drei Jahre leben! Das ist aber das höchste! Und zum dritten: Man könnte ihn retten, wenn man die Möglichkeit hätte, Teiltransplantationen von lebenden Organen vorzunehmen.«
»Ihr großer Traum, Herr Professor«, sagte Dr. Tolax leise und zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an.
»Es muß da einen Weg geben!« Moratalla stützte sich schwer auf den Leuchtkasten. Sein Gesicht wirkte im Schein der Leuchtscheibe grün und maskenhaft.
»Man hat innersekretorische Drüsen vom Tier zum Menschen verpflanzt … das müßte doch ein Wegweiser sein in das Dunkel …«
Dr. Albanez schüttelte den Kopf. »Diese Drüsentransplantationen waren nur von begrenzter Dauer. Der Körper löste die Drüsen langsam auf. Die Physiologie hatte recht, daß Organe ein eigenwilliges Eigenleben haben, das bei jedem Menschen individuell ist.«
»Alles schön und gut.« Prof. Moratalla trat an das große Fenster und blickte wieder hinaus in den weiten Garten mit den weißen Bänken und den Kranken, die an Stöcken, auf Krücken oder im Rollstuhl in die Sonne strebten. »Ihre Argumente sind aus dem Lehrbuch für Medizin, meine Herren. Aber ich frage sie: Sollen wir den jungen Mann mit seinen neunzehn Jahren einfach sterben lassen?«
»Wir müssen es, Herr Professor. Wir sind ohnmächtig!«
»Wir?« fragte Moratalla gedehnt. Er drehte sich plötzlich um. »Wenn dieser Juan Torrico kommt, wollen wir weitersehen, meine Herren. Darf ich jetzt bitten, mit in den Keller zu kommen. Vielleicht kommen wir dort ein Stückchen näher an das Geheimnis dieser verzwickten menschlichen Natur …«
Und dann standen sie in dem kalten Keller, zwischen getünchten, kahlen Wänden, umgeben von Käfigen und Strohballen. Das Licht zweier
Weitere Kostenlose Bücher