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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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ich frei. Aber dann wäre Toto schon tot gewesen, und Kasimir hätte weitergeredet. Jetzt bin ich dich los, und mein Leben kann beginnen. Endlich wird es gut werden. Ich bin noch nicht alt. Ich werde eine Frau finden, einen Sohn zeugen, werde endlich glücklich sein. Das war die Idee gewesen, die er besessen verfolgt hatte. Die letzte Schlacht Gut gegen Böse, wobei Kasimir vergessen hatte, wer für was stand. Er würde sich befreien, hatte er geglaubt, von seiner anstrengenden Marotte kurieren. Und dann hatte er Toto zu nah gesehen. Die wie ein Hündchen durch seine neue Liebe tapste, die weinte bei jedem Anlass und die man einfach nicht hassen konnte, wenn man mehr als eine Stunde mit ihr verbrachte. Toto war wie ein Brunnen, in dessen Wasser man sich spiegelte und sich sah in seiner Unvollkommenheit.
    Toto war der perfekte Mensch.
    Der Prototyp.
    So war das Universum geplant gewesen, und dann war irgendetwas schiefgelaufen. Allein zurückzubleiben war so unvorstellbar, dass Kasimir nicht mehr weiterwusste. Es würde sein, als wäre die Sonne verschwunden, das Leben abwesend, als hätte sich alles aufgelöst, was noch irgend wert war durchzuhalten auf dieser ekligen Welt.
    Ein Gefühl war nicht geplant gewesen.
    Und er biss sich in die Handknöchel und fühlte sich zum ersten Mal, als sei er an etwas gescheitert.

Und weiter.
    Russische, als Franzosen verkleidete Studenten arbeiteten in der Bäckerei an der Place Bourg-Tibourg. Sie verkauften Touristenbaguette, die jene anschließend auf den Eiffelturm trugen, um sich damit auf der Aussichtsplattform zu fotografieren. Der Hang der Touristen, Städte mit Rucksäcken und Wanderschuhen zu durchmessen, war ungebrochen, allein das Aussehen der Menschen hatte sich in den letzten fünfzig Jahren global verändert. Sie waren größer geworden, die Knochen schienen vor Kalzium fast zu platzen, die Haare waren vornehmlich dunkel, sie waren durch die uneingeschränkte Anwendung pränataler Diagnostik perfekt in einer unglaublich langweiligen Art.
    Nun wusste Toto, wie sie sich fühlten, all die Menschen, die sie am Beginn ihres Lebens bewundert, später bestaunt hatte, weil sie so genau zu wissen vorgaben, was man tun, sagen, denken musste, um unbeschadet durch das Leben zu kommen.
    Sie hätte es sich in den vergangenen fünfzig Jahren einfacher machen können. Der Mensch war nicht als Einzelgänger konzipiert. Die Idee, allein zu sein, wenngleich es keine Idee gewesen war, sondern ein Umstand, den Toto nicht mit genügend Nachdruck zu ändern gesucht hatte, war falsch gewesen. Es war falsch, sich allem zu entziehen, was sich so prachtvoll bewährt hatte. Das Rudel ist ein Fundament, das andere ist das Konsumieren. Dass sie nicht eher darauf gekommen war! Der Verfeinerung der Sinne sind keine Grenzen gesetzt. Toto entdeckte die Welt feiner Tees und Tuche, erlesener Möbel und feingliedriger Ketten. Es gab in der Produktwelt keine noch so entwickelte Ware, zu der sich nicht noch eine Steigerung finden ließ. Das also hatte es auf sich mit dieser Kaufsucht. Es war die Suche nach der Perfektion. Wie friedlich die Welt geworden war, seit alle einkaufen konnten, zu jeder Stunde des Tages. Immer wenn Toto an den Läden vorbeiging, Menschen sah, mit Päckchen in Cafés, die andere Menschen mit Päckchen in Cafés beobachteten, dachte sie an den Osten und fragte sich nicht mehr, warum alle dort Alkoholiker gewesen waren. Es war der Mangel an Möglichkeiten, die absolute Langeweile eines konsumfreien Lebens gewesen, was sie dort hatte sitzen lassen, an Dorfbrunnen und Bahnhöfen an unendlichen Sonntagen.
    Es war doch so leicht. Dieses Leben, wenn man es den anderen gleichtat. Sich sauber halten, lächeln, die Zeitung im Internet lesen, über Ereignisse reden. Eine neue Gesellschaftskomödie. Chérie. Oh, gerne, mein Schatz! Sollen wir Béatrice und René anrufen? Gerne. Lass uns ein wenig über den Öko-Textilmarkt stromern, vielleicht haben sie neue Tuchwaren reinbekommen.
    Toto hatte einen Stil entwickelt. Das braucht man, einen Stil, eine Aussage muss mit der Erscheinung gemacht werden. Sie hatte so viel Gewicht verloren, fast immer musste sie sich übergeben, nachdem sie etwas gegessen hatte, aber sie hatte sich daran gewöhnt. Sie hatte sich an alles gewöhnt. An die Wohnung, an die Herablassung Kasimirs und an ihr neues Aussehen.
    Ein symmetrischer Haarschnitt, Pony bis über die Augen, ihre langen Glieder in schwarze, geschlechtsneutrale Kleidung gehüllt, schwebte sie durch

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