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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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und die Abzweigungen, die sich boten, ignorieren. Was, verdammt noch mal, macht ein glückliches Leben aus, und ist es möglich, beide Formen auszuprobieren?
    Toto rückte die Matratze an die gegenüberliegende Wand, es gab dem Raum keine behaglichere Aura, er entfernte einen zerlöcherten Samtvorhang, das trug auch nicht dazu bei, aus dem Sterbezimmer einen behaglichen Salon werden zu lassen, und schließlich gab er auf. Er setzte sich auf die kalte Nachtspeicherheizung, ein riesiger Kasten vor dem Fenster, und versuchte ein neues Lied zu schreiben. Es handelte von tristen Aussichten aus verschmierten Fenstern.
    Später ging Toto hinunter, in die Bar. Es dauerte einen Moment, bis er in der Dunkelheit etwas erkennen konnte, aber vielleicht war es auch nur so laut, dass er die Augen zusammengekniffen hatte. In den Ecken des Raumes standen junge Männer mit durchgedrückten Wirbelsäulen, der Schwerpunkt der Menschen in dieser Stadt schien in Steißbeinhöhe zu liegen. Mit diesem Körperbau war es ausgeschlossen, irgendeine Anmut zu entwickeln. Die Männer standen steif, hatten ein Bier in der Hand, und ihre Münder waren geöffnet. Es schien Toto, als gäbe es zu viele junge Männer auf der Welt, die sich glichen, mit kurzen Haaren und traurigen T-Shirts, darauf konnte man doch keine Visionen errichten, auf den Leibern dieser jungen Männer, die nichts mit ihren Körpern anzufangen wussten, außer sie zu ruinieren. Der Abend verging langsam und sinnlos, hier waren die, die sich bei einem Bier entspannten, die, die später Hobbys haben würden, weil ihr Leben eine Qual war.
    Toto spülte Gläser, öffnete Bierflaschen, leicht für einen, der in einer Milchviehanlage gearbeitet hat. Die Männer in T-Shirts verschwanden gegen Mitternacht, sie mussten ausgeruht sein, am nächsten Tag würden sie weiter an ihrer Aufgabe arbeiten und das Fundament der Gesellschaft bilden. Langsam wurde der Raum dunkler, die Stammgäste kamen, schwarzgekleidete Menschen, unklar, welchen Geschlechts. Sie waren geschminkt, trugen lange Mäntel und unzureichendes Schuhwerk. Sie froren. Es zog. Die Musik machte jedes Gespräch unmöglich, keiner wollte sprechen. Alien Sex Fiend, die Stranglers, Sisters of Mercy, ein Musikteppich, gemacht, dass man auf ihm die Unvollkommenheit der Welt betrauerte. Es gab keine Heizung, es gab auch kaum Kontakt, ein guter Ort, um einsam zu sein, das gehörte zum Label derer, die nirgends daheim waren außer in dem Gefühl der Verlorenheit. In jungen Jahren leiden die Menschen ausschließlich an sich, später nur mehr an der Welt, doch sie leiden immer, es gehört zum Leben wie die Nahrungsaufnahme.
    Du kannst jetzt singen, sagte Tom gegen drei am Morgen. Die Barbesucher standen unterdessen weniger gerade, ihre Blicke waren glasig, vereinzelt fanden sogar Gespräche statt. Ich habe Hans-Heinz Evers geliebt, sagte eine junge Frau und sackte dann an der Wand hinunter. Ein wunderbares Publikum. Tom stellte das Lied von Allister Crowley aus, eine rare Aufnahme, und Toto sang drei Lieder. Ein Mädchen hörte zu, die anderen rund fünfzehn Gäste blickten nicht einmal auf. Ein musikalischer Durchbruch sah wohl anders aus.

Und weiter.
    Eine von Totos angenehmen Eigenschaften war, dass er sich nicht ernst nahm. Natürlich war er, neben einigen Bakterien und Parasiten, der einzige, dem das Privileg zuteilgeworden war, in seiner Haut zu wohnen, er hatte engen Kontakt zu seinen Organen, zu denen er Fremden nicht ohne weiteres Zutritt gewähren würde, und trotzdem glaubte er nicht, sich vor anderen auszuzeichnen. Toto war so antriebslos, so ohne Ehrgeiz, dass er auch in einem Schwarm Pantoffeltierchen eine gute Figur gemacht hätte. Er wollte genau da sein, wo er sich im Moment befand, zum Beispiel als Inventar einer Gruftibar. Man hätte sagen können, dass Toto keine Identität besaß, weil die doch nur durch Umgang mit anderen entsteht, er war alleine, irgendwo, und hatte keine Idee von sich selbst. Toto dachte weder über seine Vergangenheit noch über seine Zukunft nach, nur über die nächste Stunde machte er sich Gedanken, in einem Kopf, der von jeder Reflexion über sich selber frei war. Es führt jedes Leben zu einem Ende, ob man sich nun einen Arm auskugelt oder nicht, dachte er, und auch, dass sein Zimmer vermutlich reizender aussah, wenn er ein junges Genie wäre. Mithin bedauerte er, keines dieser 98-sprachigen Wunderkinder zu sein, die Schachweltmeister werden und dann Professoren mit sechzehn, aber man konnte

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