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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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dass in der Welt der Erwachsenen fast ausschließlich gelogen wird oder in Erwartungen agiert.
    Der junge Mann hatte Toto nicht zum Sitzen aufgefordert, er wirkte seltsam linkisch in seiner doch vertrauten Umgebung, was Totos Verdacht erhärtete, er könne bei einem Soziopathen gelandet sein. Hast du irgendwelche Talente? Diese seltsamen Fragen, die Toto nicht verstand. Ich bin noch nicht sehr alt, also ich meine, ich hatte noch nicht so viel Zeit, mich zu fragen, ob ich ein Talent überhaupt brauche. Um irgendjemandem später zu sagen, wissen Sie, früher habe ich über ein Talent verfügt, aber das Leben hat es nicht gut mit mir gemeint.
    Toto war erstaunt, dass er komplette Sätze sagen konnte. Du willst sagen, dass du nichts kannst? Der junge Mann fragte weiter. Nicht tanzen, nicht Kopfstand, nicht besonders gut schreiben?
    Toto wollte nicht reden, er wollte nie reden, er betrachtete voller Freude die seltsame Situation, zwei Fremde, einer mit angeklebtem Bart, standen in einer komplett übermöblierten Wohnung und berichteten einander von ihren Talenten. Das war großartig. Toto gefiel die Sache immer besser.
    Ich singe, sagte er. Aber ich glaube, nicht besonders gut, denn an der Musikschule haben sie mich nicht genommen, seitdem singe ich nicht mehr so oft, und ich denke, dass ich mein kleines Hobby vermutlich vergesse, wenn sich etwas anderes ergibt. So, ja, gut, unterbrach ihn der junge Mann, das würde ich gerne hören, das Singen. Sing mir etwas vor. Toto blieb still, und wie immer wirkte die Verweigerung des Redens hervorragend. Der junge Mann kam ins Plaudern. Ich zum Beispiel kann gut rechnen, ich gehe nur davon aus, dass dieses Talent für Vorführzwecke nicht besonders geeignet ist.
    Toto war es nicht peinlich zu singen, er hätte auch getanzt oder gerechnet, er verstand nicht, was Menschen warum peinlich war, warum sollte es in einem Leben, das die universale Länge eines Wimpernschlags hat, Peinlichkeiten geben. Alle verkleidet auf Durchreise, da ist Scham nicht angebracht. Toto sang ein Lied, das er vor einigen Monaten geschrieben hatte:
    Ich red zu dir im gelben Straßenlampenschein. Was, wenn du gar nicht weißt, dass es mich gibt? Da wird mir bodenlos, das kann, das darf nicht sein. Ich weiß doch noch, wie wir uns verliebt. Weiß ihn, den Augenblick vor einem Jahr. Du auf der Bühne, ich im Publikum, du weit weg und sahst mich an, mein kleiner Star.
    Der Asphalt nass, dein Mantel ist zu dünn für diese dumme Nacht. Mit kurzen Schritten läufst du einsam und, sag, hast du je nur einmal kurz an mich gedacht? Du in deinem Bett, und an der Decke gelbe Schatten. Du hast so Angst, und ich darf nicht zu dir. Ich weine um die Nähe, die wir niemals hatten. Bis aufs Blut beiß ich die Hand dann mir.
    Ich stehe traurig da im Schutz der Bäume, so furchtbar nah und weit bist du bei mir. Willst du den Mond für dich alleine, mein Herz? mein kleines dünnes armes Tier, lässt mich verhungern hier in meinem Schmerz. Wie dein kleiner Mantel bin ich stets bei dir. So rot, so rot, so wie dein Mantel, so wund ist das in mir.
    Wie Blut ist er, dein kleiner Mantel, lieg nur still. Dass ich dich halten kann, beweg dich nicht. Allein zu sein mit dir, das ist doch alles, was ich will. Schrei nicht, ist doch kein Mensch in Sicht. Immer Nacht, und du in meinen Armen. Warum hattest du auch kein Erbarmen. Und jetzt, jetzt schau, du atmest nicht.
    Das ist ein Psycholied, merkte Toto, als er geendet hatte, verunsichert durch lautes Schnauben. Der Klang seiner Stimme in der kleinen vollgestopften Wohnung war in der Tat grauenhaft, aber rechtfertigte das einen Tränenausbruch?
    Der junge Mann weinte, Tränen fielen auf sein weißes Hemd, verliefen sich in seinem Bart.
    Unfassbar! sagte er nach einiger Zeit, als er die Contenance wiedererlangt hatte, noch nie habe ich so eine Stimme gehört. Unausgebildet, ja, aber von einer verzweifelten Kraft. Ich muss noch ein paar Anrufe tätigen, sagte der junge Mann, strich sich über den Bart und ging aus dem Raum. Toto hatte den Satz: Ich muss noch ein paar Anrufe tätigen, noch nie gehört. Er kannte ja auch kaum Menschen mit Telefonen.
    Toto versuchte auf der zu kurzen Liege eine Position zu finden, in dieser merkwürdigen Welt, wo die Menschen mit ihren Anwälten reden, in der sie sich Bärte ankleben oder Pfarrer werden, obgleich sie Menschen hassen. Eine furchtbare Chaiselongue; als ob er auf einem kleinen unbequemen Tier lag, fühlte es sich an, doch Toto war jung, er konnte

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