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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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fast überall schlafen, eine Fähigkeit, die er später vermutlich verlieren würde, und wenn er nicht besonders gescheit und vorsichtig war, würde er es als Zeichen des Untergangs sehen, würde sich seine Lebensberechtigung absprechen, wie viele alte Menschen, die so erfüllt sind von ihrer Enttäuschung, dass sie nur noch Hass für die Angehörigen ihrer Generation empfinden und sich übertreffen in der Verächtlichkeit, mit der sie über ihre schlaffen Sexualorgane sprechen. Gleichaltrige Geschlechtspartner würden ihnen ekelhaft sein, eine absurde Verehrung der Jugend würden sie pflegen und sagen: Ja, ich kann nur noch mit Tabletten und Alkohol zur Ruhe kommen, statt zu erkennen, dass Schlaf so egal ist und nur wichtig, was man in den wachen Stunden anstellt mit seinem Gewissen.
    Toto schlief noch nicht, im Halbdunkel vermeinte er den jungen Mann in der Tür stehen zu sehen, es schien ihm klug, sich schlafend zu stellen, denn irgendetwas Unangenehmes haftete an dem Bild, das er da im Dämmerlicht zu sehen glaubte. Als es endlich hell wurde, Toto fragte sich, ob die Nacht auf der Straße wirklich schlechter gewesen wäre, stand der junge Mann neben seinem Sofa und teilte ihm den Erfolg seiner Telefonate mit. Er hatte einen Platz für Toto gefunden, und der müsse ihm versprechen, weiter zu singen, das würde seine Belohnung sein, ihn ab und an singen hören zu dürfen. Toto hatte nichts dagegen, das ist in Ordnung, sagte er, nahm die Plastiktüte, in der seine Zahnbürste steckte, und folgte dem Mann auf die Straße. Toto war in einem Alter, da man sich noch nicht nach einem Frühstück sehnt, das kommt erst später, dieser Glaube an Rituale, dieses Festhalten an strengen Abläufen, mit denen man meint, das Leben zu einer festen Größe zu machen.
    Toto wurde übergeben. Das war sein Schicksal, er war so etwas wie das ungewollte Geschenk, das immer weitergereicht wird, schon schüttelte er die winzige Hand des Barmanns, ich heiße Tom, die nur durch die Ringe ein Gewicht hatte. Toto wartete auf die neue Entwicklung, die sein Leben jetzt nahm.
    Also, das ist die Bar, da müsstest du ein wenig alles machen, was anfällt, hier hinten, Tom wies auf dahinten, ist ein Klavier, kannst du Klavier spielen? Leider nicht, sagte Toto. Ok, dann nicht, sagte Tom, vielleicht kann jeweils einer von den Gästen Klavier spielen, oder du lernst es halt. Und jetzt zeig ich dir dein Zimmer. Toto folgte dem dünnen Mann in den ersten Stock, über der Bar, in eine Wohnung, die so groß war, dass es sich um eine öffentliche Einrichtung handeln musste. Ein Flur, der zwanzig Meter maß und von dem unzählige Türen abgingen. Wir wohnen hier eigentlich zu viert, aber es sind immer Gäste da. So, das ist die Küche, Blick in eine riesige, schmutzige Küche, da eins der zwei Badezimmer, Blick in ein schmutziges Badezimmer, das ist so eine Art Wohnzimmer für alle, Blick in ein riesiges Zimmer, wo ein paar Menschen auf Matratzen lagen und rauchten und schliefen, oder beides zusammen. Hier ist Platz für dich, du hast Glück, gestern ist einer, ähm, ausgezogen.
    Warum liegt ihr alle auf Matratzen, fragte Toto. Tom schaute leer und verstand die Frage nicht.
    Toto sah sein Zimmer an, es schien ihm, als sei es die Aufgabe seines Lebens, hässliche Räume mit sich selbst darin zu betrachten, ein dunkler Schlauch, dessen Fenster in den Hinterhof auf die Abluftanlage der Bar ging. Im Hof standen Bierkästen. Was singst du denn so, fragte Tom und wirkte völlig uninteressiert. Da Toto selbst nicht genau wusste, wie er diese Frage beantworten konnte, sang er eine Strophe seines neuesten Liedes. Strange, sagte Tom, total strange, du singst wie ein Kastrat, das ist strange. Richte dich mal ein, und komm gegen neun in die Bar. Tom ging, Toto setzte sich auf eine Matratze am Boden. Es erstaunte ihn plötzlich, dass er nichts besaß. Da war doch Kapitalismus draußen, da musste man doch einen Besitz vorweisen. Die Ersatzkleider, die er von seinen wahnsinnigen Freunden aus der Sekte bekommen hatte, lagen jetzt aus ihm unklaren Gründen vor dem Männerheim im Dreck. Seine Zahnbürste lag in der Tüte, neben seinem neuen Pass und neben einer Schachtel mit dem, was vom Begrüßungsgeld geblieben war. Toto fragte sich, ob es eine gute Idee war, sein Leben zu verbringen, als wäre man in einen Fluss geworfen worden. Man greift ab und zu nach einem Ast, der vom Ufer aus ins Wasser ragt. Sollte er nicht lieber ans Ufer gehen? Beherzt eine Richtung einschlagen

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