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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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das jetzt auch nicht mehr ändern.
    Toto fand sich schnell in seine neue Umgebung. Er schlief bis zum Mittag, aß etwas in der dunklen Bar, zusammen mit dem dünnen Barbesitzer und den Gästen, die sich gerade in seiner Wohnung aufhielten und alle im Gefühl der Unsterblichkeit ihre Jugend vergeudeten, ihre Zähne vernachlässigten, ihre Lebern, etwas mit Musik machten oder mit Drogen, die sich von Konzerten kannten oder einfach derselben Szene angehörten, die schwarz gekleidet waren und vorrangig nichts wollten. Es wurde wenig geredet und viel geraucht. Immer und überall, auch während des Essens, das widerwillig eingenommen wurde.
    Später am Tag erforschte Toto seine neue Heimat. Er stellte sich vor, ein Spion zu sein, der so viele Informationen wie möglich zusammentragen muss, und stand auf der Straße im Weg, um nichts zu begreifen.
    Es war die Zeit, da jeder Bürger Aktionär geworden war, ohne zu ahnen, dass das die Welt schon bald ruinieren würde, ihr Hang zum Pokerspiel, der Erwerb von Firmenanteilen, während man, um ihre Aktionäre zufriedenzustellen, Arbeiter entließ, Produktionsstätten nach Asien verlegte. Jeder Idiot befriedigte seine kleine Gier, er kaufte und kaufte, er interessierte sich nicht für die Welt, die ihn umgab, und die nachfolgende Generation war ihm völlig gleichgültig. Der Individualismus hatte endlich gesiegt, die Therapeuten konnten sich nach erledigter Arbeit zufrieden einem Großen Feuer überantworten.
    Die Millionen Kleinaktionäre entwickelten einen grenzenlosen Geiz. Sie mussten ja Aktien kaufen, und so sparten sie vornehmlich am Essen. Was da in die Leiber gestopft wurde, an Sägespänen und vergammeltem Fleisch. Auch hier legte man schon den Grundstein zu späteren Seuchen durch industrielle Nahrungserzeugung, sie sparten an der Körperhygiene und kauften wie Wahnsinnige Desinfektionsmittel. Dann saßen sie mit billigem Fleisch im Bauch, dessen vergiftende Wirkung sie mit Bier betäubt hatten, und beobachteten ihr Geld beim Kopulieren, und bald schon würden sie alles verloren haben und schreien, und noch mehr sparen, sparen an allem, was das Leben erträglich hätte machen können.
    Jeden Nachmittag übte Toto am Klavier. Eine kleine Lampe erhellte die dunkle, kalte und schlecht riechende Bar, und Totos unbeholfenes Spiel ähnelte seinem Gesang, schön laut musste es sein, damit sie Toto nicht peinlich war, diese Ergriffenheit, die er verspürte, fast war es, als leuchte er, fast fliegen konnte er, wenn er sich auflöste mit seiner seltsamen Stimme und nirgendwo mehr war. Um dann wieder hart zu landen, zu verzweifeln, musikalisch mehr zu wollen, doch nicht zu wissen, was. Besser werden, nicht mehr nachdenken müssen, wie etwas warum klang oder nicht klang. Er konnte nicht ausdrücken, was er wollte, die Ahnung, mehr in sich zu haben, als man in die Welt entlassen kann, man könnte es vielleicht mit dem Unvermögen eines Stotternden vergleichen, der so gern fließende Vorträge halten möchte. Toto wünschte sich ein Wunder, wünschte, einer jener Zufälle, die bisher sein Leben bestimmt hatten, könnte doch eintreten und seine Lieder besser werden lassen.
    In der Nacht begann Totos Schicht an der Bar, und über die Wochen hatte sich eine kleine Gruppe von Zuhörern gebildet, man hätte sie Fans nennen können, wenn man unbescheiden gewesen wäre, immer öfter kamen Gäste nur, weil sie von dem komischen Jungen gehört hatten, der aussah wie ein Mädchen und der wirklich merkwürdig sang.
    Die Stammgäste kannten einander, doch offenbar lehnten sie Freundschaften ab als etwas, das nur in bürgerlichen Kreisen stattfand, dort, wo Reihenhäuser und Hochzeiten gediehen. In der Bar, dieser Zentrale all derer, die sich eine Einordnung kategorisch verbaten, sie waren Individualisten, auch wenn sie alle gleich aussahen, wurde Nihilismus dargestellt. Die Philosophie der Situationisten wurde auf den Kernsatz: Arbeitet niemals! heruntergebrochen und mit Drogen versetzt, bis eine wirkliche Beziehungslosigkeit zu allem entstand. Ein erstaunlicher Mangel an Mitgefühl, vor allem mit sich. Jeder fror, ständig, keiner fühlte sich wohl, und keiner wusste, wie es herzustellen war, dieses warme Gefühl, von dem die Werbung immer berichtet.
    Manchmal stand eine schwarze Gestalt neben Toto und versuchte ein Gespräch, doch hatten sich die meisten in der Szene, die keine sein wollte, so in ihrer Schweigsamkeit eingerichtet, dass es kaum mehr einen Weg zu einem Menschen gab, der man nicht

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