Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
erhob mich. „Pass auf dich auf“, sagte ich und versuchte, jede emotionale Geste zu vermeiden. Als ich ging rief Chris mit hinterher: „Ich liebe dich, Dr. Koman.“
Mein bester Anwalt liebte mich!
Ich sah mich nicht mehr um und schloss die Tür.
Was war nun wirklich passiert?
Chris hatte es wieder einmal geschafft, alles in mir durcheinander zu bringen. Weiterhin hatte er es geschafft, mich gegen des Willen meines Chefs wiederzusehen und die Beziehung zu mir zu überprüfen. War ich immer noch gefügig oder nicht. Ich war.
Dann hatte Chris weitere Personen, die ihm feindlich gesinnt waren, aufs Schlachtfeld gerufen: Henry und Dr. Brisco.
Ich wollte abklären, wer gestern und heute die Waschaufsicht auf dieser Station hatte und suchte Judith auf. Sie war im Personalzimmer und sortierte Unterlagen.
„Haben Sie kurz Zeit?“, fragte ich, und sie nickte freundlich. Judith war Chris freundlich gesonnen und somit nicht gefährdet.
„Ich hätte gerne gewusst, wer gestern Abend und heute Morgen die Waschaufsicht bei den Jungen hatte.“
Judith blätterte im Personalbuch herum und sagte: „Josh.“
War Josh nicht auf meiner Station tätig?
„Ach“, sagte ich, „ist Josh hier auch tätig?“
„Er ist auf drei Stationen eingesetzt“, informierte mich Judith.
Ich nickte und sagte ihr, dass ich einen Bericht über diesen Vorfall hier schreiben würde. Auch, dass sie Zeuge des Gesprächs mit Chris gewesen war. Sie nickte, natürlich. Ich war irgendwie ihr Vorgesetzter. Aber sie bemerkte: „Seien Sie bitte vorsichtig mit dem, was Chris wegen Dr. Brisco angedeutet hat. Niemand weiß, wie es wirklich war. Chris ist sehr krank.“
Ich nickte. „Ich werde den Ablauf ohne Kommentar verfassen.“
Dann ging ich zurück in mein Büro auf Station zwei. Dort schloss ich mich ein und setzte mich erledigt auf meinen Schreibtischstuhl. Mir fiel der Kopf zwischen meine Arme, die auf dem Tisch lagen. Ich komme, Dr. Pilburg, schrien meine Gedanken. Ich schlief ein.
Ein nachdrückliches Klopfen an meine Türe ließ mich aufschrecken. Wie lange mochte ich geschlafen haben. Ich sah auf die Uhr. Fast 1 ½ Stunden. Es klopfte noch einmal. Ich fragte, wer da sei. Jenny. Ein Geschenk Gottes!
Ich ließ sie rein und nahm sie ungefragt in den Arm. Es war das erste Mal, dass ich mich ihr in dieser Form näherte.
Sie wehrte sich nicht, sie erwiderte meine Umarmung aber auch nicht. Sie war einfach nur freundlich und sagte: „Hi, Bob. Ich freue mich auch, Sie zu sehen.“
Ich entschuldigte mich sofort für meine Aufdringlichkeit, und wir setzten uns.
„Ist schon okay“, sagte sie. „Ich habe gerade gehört, was los war. Du wärst wahrscheinlich jedem um den Hals gefallen, der gerade reingekommen wäre.“
Ich nickte lachend, um meine Scham weiter zu mindern. Es war so befreiend, dass sie da war.
„Ich bin zufällig heute hier“, sagte sie. „Habe nur ein paar Sachen für ein Klassenprojekt abgeholt. Da dachte ich, schau mal rein und sag hallo. Da sagte mir Annie, dass du zu Chris gerufen worden bist. Ein Notfall. Und wenn ich deine Klamotten anschaue, war's mal wieder ein sehr blutiger Notfall.“
Ich sah an mir herunter und nickte. Sehr blutig. Viel Malfarbe!
„Wie geht’s ihm?“, hörte ich Jenny fragen.
„Alles okay.“
Sie schüttelte den Kopf. „Gar nichts ist in Ordnung. Schau dich an. Du siehst aus, als hätte sich jemand vor deinen Augen massakriert.“
Massakriert. Chris hatte Henrys Glied massakriert. Wenn's mal stimmt!
Ich brach zusammen und erzählte Jenny die ganze Geschichte. Wie ein riesiges Spektakel kam es mir vor. Neue Figuren standen plötzlich am Pranger, neue Richter hatten sich hervorgetan.
Jenny schüttelte fassungslos den Kopf. „Bob“, sagte sie. So, wie sie immer häufiger ein Gespräch mit mir begann, um mich zurückzuholen.
„Bob, du sagst, dass die Flecken auf Chris' Körper irgendwie schematisch sind?“
Ich nickte.
„Wenn man ein Kind schlägt, schlägt man es nicht schematisch. Da stimmt was nicht.“
„Dr. Brinkham hat Fotos gemacht.“
„Die sollten wir uns ansehen.“
„Das wird Brinkham nicht zulassen. Wir haben hier nicht bereichsübergreifend zu arbeiten. Chris ist nicht mehr mein Patient. Strikte Anweisung von Dr. Brisco.“
„Aber wenn es der Aufklärung der Vorfälle im Camp und Chris' Krankendiagnose dient, dann ...“
„Chris ist nicht mehr mein Patient!“, sagte ich nachdrücklich.
„Aber er ist mein Schüler !“
Damit verließ sie mein Büro, und ich wusste nicht mehr, was ich
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