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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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Zusammenhänge. Die Betroffenen haben eine eigene Sprache.“
Ich ergänzte weiter: „Da sie aber immer noch einen Teil der Realität wahrnehmen und nicht auffallen wollen, verbinden sie beide Welten miteinander, um zu bestehen und von uns wahrgenommen und verstanden zu werden.“
„Genau.“
Ich sah wieder auf die Fotos, „Wann wird sein Vater wohl in ihn hineingehen?“, fragte ich Jenny gedankenverloren.
„Wenn er seinen äußeren Körper, seine Haut, verlassen hat. Er kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.“
„Nein, kann er nicht. So wird es sein. Das ist unsere Chance. Dr. Brisco kommt in vier Tagen wieder. Dann sind die Flecken noch da. Wir haben ungefähr sieben Tage, dann ist das geronnenen Blut aufgelöst.“
Jenny sagte: „Er wird eine Geburt vorbereiten. Gib ihm ein Buch. Lass ihn schreiben.“
„Brisco hat's verboten.“
„Gib es ihm trotzdem.“
„Dann bin ich meinen Job los.“
„Dann werde ich es ihm bringen.“
Ich sah Jenny an. „Das würdest du tun?“
„Ja! Ich bin Kunstlehrerin! Ich kann alles! Schließlich plane ich ein Projekt.“
Jenny stand auf, ging zur Tafel und hing die Fotos ab. Die rollte sie zusammen und steckte sie in eine Fotorolle. Ich dachte, schade, dass das Gespräch zwischen uns nicht aufgenommen wurde. Es hätte uns beiden eine Menge Erklärungen demnächst erspart.
Ich ging auch wieder nach vorne zur Tafel und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Das Knie darf ich ja nicht sehen“, sagte ich.
„Noch nicht“, sagte sie, und ich verliebte mich gerade.

Nun hatte ich einen Sohn , der hochgradig schizophren war und ein Frau , die mir bei der Erziehung half. Was konnte mir besseres passieren? Ich war an dem Tag der glücklichste Mensch der Welt!
Der Tag ging wie Honig in mich hinein, würde Chris sagen. Nun war der Junge wieder vollkommen präsent in meinem Leben. Leider war zwischen uns ein Stacheldraht gezogen worden. Er unterlag nicht mehr meiner Aufsicht. Aber dafür hatte ich jetzt Jenny. Sie war zu einem wichtigen Bindeglied geworden. Und sie war verdammt klug mit der Situation umgegangen. Wo ich ständig dampfte, behielt sie einen kühlen Kopf. Den brauchte ich.
Jetzt verstand ich auch Chris Bitte, dass ich ihn und mich nicht in Schwierigkeiten bringen sollte. Es war eine verschlüsselte Nachricht. Er ahnte bereits, dass ich ihm auf die Schliche kommen würde. Manchmal bröckelt auch tiefste Überzeugung in mir.
Henry betrachtete ich nun mit anderen Augen. Genauso begegnete ich ihm auch. Er sollte keine Sonderbehandlung von mir erfahren, damit sein Versuch von Chris keine Schule machte.
Ich befand mich auf dem Weg, diese Jungen nicht mehr als normale Seelen zu sehen. Ihnen war durch normale Behandlung oder besondere Aufmerksamkeit nicht beizukommen. Das konnte zu einem Desaster ungeahnten Ausmaßes führen. Unsere Aufgabe als Ärzte hier bestand darin, ihnen beizubringen, besser mit ihrer Erkrankung klarzukommen. Heilbar war hier niemand. Diese Vorstellung konnte ich mir endlich abschminken und erleichterte mich auf eine merkwürdige Weise. 
    Die Tage ohne Dr. Brisco flossen dahin. Durch meine neu erlangte Sicht der Dinge veränderte sich auch mein Verhalten den Patienten gegenüber.
Henry kam auf mich zu und sagte: „Es tut immer noch weh.“
Ich sagte: „Hat Dr. Hazelwood mal nachgeschaut?“
Henry nickte.
„Und? Was hat er gesagt?“
„Er will operieren.“
„Na“, sagte ich, „dann ist doch alles klar“, und ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Damit war für Henry der Schmerz verbannt.
Meine Arbeit bekam plötzlich eine nie verspürte Leichtigkeit. Früher hätte ich mit Henry ein vertieftes Gespräch über seine Schmerzen geführt. Vielleicht sollte man vieles gar nicht vertiefen. Auch privat nicht.
    *
    Genau wie Jenny und ich es erwartet hatten, meldete Trakt drei keinen Notfall mehr für mich. Chris gab Ruhe. Wenn ich Josh auf meiner Station traf, fragt ich ganz beiläufig: „Bei dem kleinen Gelton alles klar?“ Und er antwortete jedesmal: „Brav, wie ein Lamm.“
Er bereitet die Geburt vor. Hoffentlich hatte Jenny das Buch in sein Zimmer bringen dürfen. Ich kannte den derzeitigen Stationsarzt nicht weiter, nur vom Sehen. Da Jenny aber ein sachliches Auftreten besaß, war ich mir ihrer Tat sicher.
Ich sollte sie mal einladen, kam es mir in den Sinn. Warum nicht gleich? Ich rief sie übers Handy an.
„Wie sieht's mit Pizza heute Abend aus? Bei Luicci?“
Sie lachte und sagte: „Ja, ich habe gehört, die verkaufen die

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