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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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oder nicht? Wenn ja, musste es umgehend dem Aufsichtsrat gemeldet werden. Wenn nicht, würde ich wegen haltloser Beschuldigung gegen den Chef sein Vertrauen verlieren und wahrscheinlich die sofortige Entlassung erhalten. Nur weil ich mal wieder diesem Gelton Glauben geschenkt hatte.
Nun war ich froh, dass Judith mit im Boot saß. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass es noch eine weitere Person geben könnte, die an Chris herangekommen war.
Ich sollte Jenny nach Feierabend anrufen. Irgendjemand musste mit Vernunft auf mich einreden.
Doch jetzt ging es erst mal um das Buch. Und ich fragte: „Hast du etwas in das Buch, das ich dir vorgestern gegeben habe, hineingeschrieben?“
Chris grinste. Ja, hatte er!
„Ich würde es gerne lesen“, sagte ich ganz sanft. Zu sanft, wie Chris sogleich bemerkte. „Dr. Brisco hat es“, sagte er nur.
„Deswegen die Flecken?“, fragte ich. Hatte er Prügel für weitere infame Lügen von Brisco erhalten?
Er nickte zart. Es war also Brisco gewesen, schlussfolgerte ich. Ich lag so verdammt falsch!
Ich stellte in den Raum: „Es war also Dr. Brisco gewesen, der dich geschlagen hat?“
„Du bekommst Schwierigkeiten“, gab Chris als Antwort.
„Ich weiß“, antwortete ich und bat ihn: „Hör auf mit dem Schreiben, hörst du?“
Chris sah mich mit großen Augen an. „Aber ich habe es für dich getan!“
„Ja“, sagte ich. „Aber hör jetzt damit auf. Tu das jetzt für mich.“
Er nickte. Damit war die Sache mit dem Schreiben vom Tisch.
„Ich muss jetzt zurück zur Station“, sagte ich und erhob mich erschöpft.
„Wie geht’s Henry“, hörte ich wie aus heiterem Himmel hinter mir, als ich zur Tür ging.
Jetzt kniff ich meine Augen gefährlich zusammen. Eine innere Stimme riet mir, mich nicht auf dieses Gespräch einzulassen. Also sagte ich: „Gut.“
„Wird er jetzt von dir betreut?“, hörte ich weiter hinter mir. Seine Stimme klang traurig. Ich drehte mich nicht um.
„Sicher“, antwortete ich. „Alle Jungen auf der Station werden von mir betreut.“
„Was für ein Glück“, sagte Chris. „Ich habe ihm gesagt, dass er bei dir in den besten Händen ist.“
Jetzt drehte ich mich um. „Wann hast du ihm das gesagt?“
„Im Camp. Ich erzählte ihm von dir. In der ersten Nacht. Dass du der beste Freund bist, den man haben kann. Und wir überlegten, wie Henry am besten auffallen könnte, um von dir besonders gut behandelt zu werden. So, wie ich.“
Mir brach der Schweiß aus. Sprich weiter, Knabe!, donnerte es in mir.
„Henry braucht unbedingt einen guten Freund. Versprich mir, dass du dich gut um ihn kümmerst.“ Er sah mich erwartungsvoll an.
Ich war durcheinander und versuchte zu sortieren, was Chris gerade gesagt hatte. Sollte ich schlussfolgern, dass Chris diese Tat mit Henrys Glied nur deswegen gemacht hatte, damit er in meine besondere Aufmerksamkeit gelangte? Sollte ich weiterhin annehmen, dass Chris sich für ihn geopfert hatte? Oder sollte ich endlich merken, dass Chris mich wieder in die Irre führte? Ich fragte nach: „Hast du das ins Buch geschrieben?“
Chris nickte.
Jetzt war mir klar, warum Brisco ihn geschlagen haben könnte. Wie konnte man Grausamkeit mit Barmherzigkeit verbinden? Entwickelte Chris gerade seine eigene Religion?
Da fiel mir ein Lehrspruch von Freud ein: Aufmerksamkeit erlangen, sowie im Guten als auch im Schlechten.
Was Chris nicht im Guten erlangte, versuchte er im Schlechten. Chris hatte seinen ersten Glaubensbruder gefunden: Henry, der Schizophrene. Da Chris auch an einer Form der Schizophrenie litt, war mir klar, dass die beiden die gleiche Sprache sprechen. Vielleicht war dieses Spiel nur ein Mordsgaudi für sie. Vielleicht waren sie schon viel weiter in der Erforschung von menschlichem Verhalten als wir alle zusammen. Und … vielleicht stimmte die ganze Geschichte mit Henry ja gar nicht!!!
Ich fragte: „Sonst noch was in dem Buch?“
Chris schüttelte den Kopf.
Ich fühlte mich ohnmächtig und wollte nur noch mit Henry sprechen.
Ich war wieder mittendrin. Hatte Dr. Brisco mir nicht gesagt, ich solle die Finger von Christopher Gelton lassen?
Was wäre wirklich passiert, wenn ich nicht mit in Trakt 3 gekommen wäre? Hätte sich Chris dann wirklich umgebracht? Ich fragte ihn: „Was wäre, wenn ich heute nicht zu dir gekommen wäre? Hättest du dich dann umgebracht?“
Ich sah ihn an, direkt in die Augen. Er nickte, ganz langsam.
Damit hatte er mir die größten Fesseln um meine Seele gelegt, die ich je getragen habe.
Ich

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