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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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hier noch sollte. Wer braucht schon einen Psychologen, der selber behandlungsbedürftig ist?
Ich ging Mittagessen. Ich ging Berichte schreiben. Ich ging heim. Ich ging ins Bad zum duschen. Ich stand am Fenster. Ich sah die Sonne untergehen. Ich legte mich ins Bett. Ich stand wieder auf, ging erneut duschen. Ich nahm einen Kaffee zu mir und fuhr wieder zur Arbeit. Alles im tauben Zustand.

Auf meinem Schreibtisch fand ich eine Nachricht: Sofort melden. Jenny. Daneben ihre Handynummer.
„Bob“, sagte sie – wie immer, „komm so schnell du kannst in Chris‘ Klassenraum.“
Ich sagte Annie Bescheid und rannte zum Schulgebäude.
Jenny hatte an der Tafel vier Fotos von Brinkhams Aufnahmen gestern auf Postergröße vergrößert und nun an der Tafel hängen.
„Wow“, sagte ich. „Du bist zweifellos Chris‘ Kunstlehrerin. Er hat dich infiziert.“
Sie lächelte und gab mir zur Begrüßung die Hand. Schade, dass sie mich nicht umarmte. Wäre doch eine nette Geste gewesen.
„Wie bist du an die Fotos gekommen?“, fragte ich erstaunt.
„Ich habe Brinkham mein Knie gezeigt.“ Sie zeigt mir ihr Knie. Sehr attraktiv!
„Na“, sagte ich, „wenn er auf solche Dinge reagiert, werde ich keine Chance bei ihm haben.“
Wir mussten lachen.
„Schau auf die Bilder“, forderte sie mich auf. Wir standen vor der Tafel und sahen uns den nackten geprügelten Körper von Chris an. Von vorne, von rechts und von links. Es sah bitter aus. Immer wieder erfuhr der Junge körperliche Züchtigungen. Es war, als schlage man seine Seele zu Brei.
„Schlimm“, sagte ich leise.
„I wo“, sagte sie, „gar nicht“, und zog mich an der Hand in den hinteren Teil des Klassenzimmers. Wäre jetzt jemand hereingekommen, wäre ich als pädophiler Päderast abgeführt worden. Meine Rolle hätte sich damit perfektioniert.
Aber Jenny hatte vorsichtshalber die Tür abgeschlossen. Da standen wir nun, sechs Meter entfernt und sahen auf die Fotos. Sie bekamen durch die Entfernung ein völlig anderes Aussehen, als aus direkter Nähe. So, wie es oft bei Gemälden von Künstlern ist. Erst die Betrachtung aus der Entfernung erschließt das gesamte Kunstwerk.
Und wie ich so hinsah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jenny stand entspannt neben mir und bemerkte: „Chris ist ein bemerkenswerter Künstler. Er kann aus sämtlichen Perspektiven, ob nah oder fern, Kunstwerke schaffen. Eine Eigenart, die nur ganz wenigen Menschen zuteil ist. Sieh dir dieses Profil an, dann, vorne, das Gesicht. Ein schönes Gesicht. Nur hinten kam er nicht dran. Da ist nichts zu sehen. Chris hat versucht, sich selbst, wie er sich sein Aussehen später einmal vorstellt, auf seinem eigenen Körper darzustellen.“
Ich holte tief Luft und erkannte das Gesicht sofort. Vorne, der klare Anblick mitten ins Gesicht, dann seitlich die Profile. Ich flüsterte: „Das ist sein Vater.“
Ich musste mich setzen, starrte aber weiter auf die Fotos.
Jenny setzte sich neben mich. „Das ist sein Vater?“
„Ja“, sagte ich, „das genau ist Dane Gelton.“
Wir schwiegen. Der Moment war zu ergreifend, um Worte dafür zu finden.
Das Kunstwerk hatte sicherlich nicht Dr. Brisco oder irgendein Josh mit Prügel geschafft. Dieses Kunstwerk ist durch Chris' eigener Prügel entstanden. Und nicht erst gestern. Laut den Verfärbungen musste es sich schon mindestens zwei Tage auf seiner Haut befinden.
Ich dachte an den Bericht, der gerade auf meiner Ablage im Büro lag und von Annie heute noch zu Briscos Büro wandern würde. Egal, es stand ja die Wahrheit drin. Ich musste nur noch einen Ergänzungsbericht schreiben. Eine Erklärung sozusagen.
Ich starrte weiter auf die Fotos und sagte: „Chris hat mir erzählt, dass er sich die Verletzungen nicht selber zugeführt hat. Es sei ein anderer gewesen.“
Jenny nickte, als wüsste sie Bescheid. „Chris ist schizophren, nicht wahr?“
„Hingleitend“, sagte ich. „Zunächst konnte ich nur eine leichte schizophrene Psychose bei ihm diagnostizieren.“
„Sie reift aus“, sagte Jenny.
Ich nickte. „Das tut sie, in der Tat. – Wenn Chris sagt, er wäre es nicht selbst gewesen, und es kann ja wohl offensichtlich auch kein anderer gewesen sein, wer war es dann?“
„Der, den er dargestellt hat.“
Ich sah zu Jenny hinüber. „Sein Vater?“
Sie nickte. „Genau der. Hast du schon mal was von Eingebungen gehört?“
Sicher hatte ich das. Nur selber fehlten sie mir andauernd.
„In der Künstlerwelt spricht man von Eingebungen oder Botschaftern. Das ist

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