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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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anderer?“
Chris sah mich an. Schon alleine die Tatsache, dass er nicht sofort antwortete, machte mich stutzig.
Judith wollte das Zimmer verlassen, doch ich bat sie zu bleiben. Sie sollte Zeuge dieses Gespräches werden, damit mich Chris nicht wieder in eine fatale Geschichte verwickeln konnte.
Dann sagte Chris: „Ein anderer.“
Ich sah ihn auf Augenhöhe an. „Du kennst den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, nicht wahr?“
Chris nickte folgsam.
„Du willst mir also sagen, dass ein anderer dich geschlagen hat.“
Chris nickte. Judith holte tief Luft.
„Du hast es nicht selbst gemacht?“, hakte ich noch mal nach.
„Nein.“
Gut, dachte ich, dann gehe ich mal in die Offensive: „Dann sagt du mir jetzt, wer dich geschlagen hat.“
„Sollte ich nicht tun“, flüsterte Chris und schüttelte den Kopf dabei.
„Du musst“, sagte ich. „Sonst kriegen wir zwei mächtig Ärger miteinander.“
„Ich flüstere es dir“, bot Chris an und sah zu Judith.
„Nein“, sagte ich leicht erbost, „du sagst es jetzt laut und deutlich.“ Ich sah Judith kurz an. Sie stand neben Chris, so konnte ich ihr direkt in die Augen sehen.
„Wenn ich es dir sage, bekommst du viel schlimmeren Ärger, als wenn ich es nicht sage.“
Ich fragte mich, was noch schlimmer werden könnte. Da brachte sich Judith ein. Sie ging auch vor Chris in die Hocke und sagte: „Chris, als du gestern hier zu uns gekommen bist, waren die blauen Flecken noch nicht da.“
Ich sah sie an, als sie das sagte und fragte mich, wo er denn inzwischen gewesen war. Dies ist doch ein Isolierzimmer. Chris käme nirgendwo hin, ohne dass es eine Eintragung ins Personalbuch geben würde.
Judith rief eine Kollegin, die ihr das Buch brachte.
Wir schlugen es auf und lasen. Gestern um 12 Uhr wurde Chris zu Dr. Brisko ins Büro gebracht und um 13:30 Uhr wieder auf die Station in sein Zimmer zurück. Seitdem hatte er das Zimmer nicht mehr verlassen.
Vollkommen entsetzt sahen Judith und ich uns an. Dann sahen wir Chris an. Der sah zu Boden.
Ich fragte: „War es Dr. Brisco?“ Ich glaubte nicht, das zu fragen und konnte mir auch nicht vorstellen, dass er so etwas tun würde. Aber ich musste es fragen.
Chris sah mich an. Er hatte Tränen in den Augen. „Mir ist kalt“, sagte er, und ich sah die Gänsehaut am ganzen Körper.
„Judith“, sagte ich, „Dr. Brinkham soll noch mal kommen und sofort einen physischen Befund von Chris verfassen.“
Sie nickte zustimmend und rief ihn erneut übers Handy an. Ich hörte einen undeutlichen Kommentar durch den Hörer und empfing den Arzt einige Minuten später wieder in übler Laune.
Ich hatte Chris derweil in eine Decke gewickelt und enthüllte den geschundenen Körper, als Brinkham sich beruhigt hatte.
Jetzt war er doch entsetzt. Er dreht den Knaben und ging zu seiner Tasche. Dort holte er eine Digitalkamera hervor und lichtete Chris von allen Seiten ab. Irgendwie waren seine Flecken systematisch angelegt, aber ich hielt mich zurück und ließ den Arzt seines Amtes walten. Dieser klopfte, drückte, knetete und rieb an den Verletzungen und dokumentierte alles auf einem Meldebogen.
„Ich muss ihn zum Röntgen mitnehmen“, sagte er knapp.
„Ich komme mit“, sagte ich ebenso knapp, und somit bekamen wir Chris widerstandslos in eine Decke gehüllt zur Röntgenabteilung. Dort ließ er die Aufnahmen friedlich über sich ergehen. Als ich ihn wieder in die Decke hüllte, sah mich Chris mit flehendem Blick an. „Nicht“, sagte er nur leise.
Brinkham sah zu uns und fragte: „Nicht?“
Ich sah Chris an und fragte: „Was, nicht?“
„Tu's nicht“, wiederholte der Junge.
Brinkham zog Chris zu sich. „Was soll Dr. Koman nicht tun?“
Ich dachte, Junge, jetzt sag nichts Falsches. Nichts, was missverständlich wäre. Doch er tat es, ohne mit der Wimper zu zucken, und sagte: „Dr. Koman soll mich nicht wieder in Schwierigkeiten bringen.“ Hörte ich richtig? Ich ihn ?
Ich fiel in mir zusammen und sagte: „Dann sag Dr. Brinkham auch, welche Schwierigkeiten du meinst, bevor er meint, ich hätte dir was angetan.“ Ich sah Brinkham schadenfroh an. Doch Chris schüttelte den Kopf.
„Soll ich es sagen?“, fragte ich.
Er wiederholte: „Tu's nicht.“ Und ich Idiot sagte: „Chris war gestern nur einmal aus seinem Zimmer geholt worden. Zu Dr. Brisco. Chris hatte vorher keine Blessuren, danach hatte er sie.“
Jetzt war es raus.
Brinkham sah mich mit geschlitzten Augen an. Chris sah mich mit wütenden Augen an. Nur ich sah wieder blöd

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