Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Profitdenken wunderbar mit »We do no evil«-Sprüchen und Sharing-Kultur verträgt. Die puritanischen Grundwerte sind intakt. Die Bosse der Hedgefonds pflegen das Bild des hart arbeitenden Selfmademan, sie verehren den Reichtum und sind natürlich beträchtlich bei der Charity engagiert.
In Deutschland gibt es in der Politik kaum marktradikale Kräfte, die sich mit solchen Positionen identifizieren würden. Ganz sicher zählen die Arbeitgeberverbände nicht dazu, denn dann müssten sie ihr »Tarifkartell«, also die enge Absprache der Löhne und der Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften, aufgeben und ein »Hire and fire«-System etablieren. Doch warum sollten sie? In der Finanzkrise 2008, die zum schwersten Einbruch der Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa geführt hatte, bewährte sich das (reformierte) deutsche Modell sehr gut, während die Amerikaner bis heute auf hohen Arbeitslosenzahlen verharren. 25
Ein Vorwurf der Mainstreamökonomie an den deutschen Sozialstaat lautet stets, dass es dort zu gemütlich zugeht. 2006, als die Arbeitslosigkeit in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht hatte und die Reformen der Agenda 2010 gerade zu wirken anfingen, hob der Publizist Wolfgang Münchau zum Abgesang auf Deutschland an. »Die Soziale Marktwirtschaft lässt sich nicht reformieren«, schrieb er. Sie sei dem härteren angelsächsischen Kapitalismus unterlegen, »eine Schönwetterkonstruktion, die an der Globalisierung scheitern wird«. 26 Eigentlich sei sie »vorkapitalistisch«, weil sie sich dem Markt nicht vollständig unterordnet. Die INSM sprach Münchau von allen »ultraliberalen« Absichten frei, die uns linke Globalisierungskritiker unterstellten. Wir seien harmlos und stünden lediglich für »die Rückkehr zu den Ursprüngen«, also zur Gemütlichkeit. Ich sagte mir damals, wenn uns ein in der Wolle gefärbter Marktradikaler für zu lax und die Linken uns für zu radikal halten, dann stehen wir mit unserem moderaten Reformkurs vielleicht gar nicht so schlecht da. Ich hatte gerade eine Kampagne zum Revival von Ludwig Erhard gestartet, damit der Begründer des Wirtschaftswunders nicht in Vergessenheit geriet. Doch Münchau wollte mehr Hayek und weniger Erhard, eigentlich wollte er gar keinen Erhard.
Der Mensch weiß nichts, der Markt weiß alles. Der Markt ist Gott.
In der Tat stehen hinter der Sozialen Marktwirtschaft zwei geistige Schulen: die Ordoliberalen um Erhard, Eucken, Müller-Armack, die den Markt durch einen starken Staat zähmen wollten, und die Marktradikalen um Hayek. Die Bedeutung des Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek liegt im Nachweis, dass die Planwirtschaft utopisch ist und im Chaos enden muss. Denn ohne Marktpreise weiß eine Volkswirtschaft schlicht nichts über die tatsächliche Nachfrage nach Gütern. Jede Zentralverwaltungswirtschaft müsse an Ressourcenverschwendung und Mangelwirtschaft zugrunde gehen. Diese Thesen waren 1947, als Hayek Der Weg zur Knechtschaft schrieb, keineswegs Allgemeingut. Darin stimmte er mit den Ordoliberalen überein, und der Untergang des Sozialismus gab beiden 1989 recht.
Die Ordoliberalen waren fest davon überzeugt, dass die Freiheit in einer Marktwirtschaft ein hohes Gut ist und zum Wohlstand und zur Lebenszufriedenheit der Menschen viel beiträgt. Sie beteten den Markt jedoch nicht an, und ihnen waren seine Systemfehler klar. Dass der Markt sich staatsfrei am besten selbst reguliert, hielten sie für einen Mythos. 27 Die Große Depression der 1930er Jahre war dafür ein Beispiel. Die Märkte hatten sich nach dem Crash keineswegs wieder von selbst stabilisiert. Bei der Gründung der Bundesrepublik wollte der deutsche Ordoliberalismus die Fehler der Marktgläubigen nicht wiederholen. Eucken fürchtete zu Recht, dass der freie Markt zu Kartellen tendiert, weil jeder Marktteilnehmer »die Möglichkeit (erspäht), um Monopolist zu werden«. 28 Er hatte damals die Ölkonzerne und die Stahlbarone im Blick, heute hätte er den Wirtschaftsminister gerügt, nichts gegen Amazon, Google oder Microsoft zu unternehmen. Ordoliberale befürworten einen starken Staat, der die Regeln des Marktgeschehens ordnet und sichert, ohne in den Markt selbst direkt einzugreifen. 29 »Intelligentes Marktdesign« nennt man das heute.
Hayek dagegen ist radikal-libertär und versteht sich als Verfechter einer Utopie der freien Marktordnung. Völlig deregulierte Finanzmärkte wären also ganz nach Hayeks Geschmack gewesen, zumal die Eigentumsrechte der
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