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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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hohe Arbeitslosigkeit zwang aber zum Umdenken: Mit einem Job ist den Menschen mehr geholfen als mit höheren Sozialleistungen. Schröders Agenda 2010 hatte den Zeitgeist im Rücken, denn die Bürger glaubten den Versprechungen des Sozialstaats nicht mehr. Die gesetzliche Rente war nicht sicher, wie Norbert Blüm immer versichert hatte, die Arbeitsvermittlung 16 versagte, der Staat war überbürokratisiert und verschwenderisch. Der Zeitgeist war »neoliberal«, was neutral ausgedrückt bedeutete: »Mehr Markt, weniger Staat« – mit dem Ziel, dadurch den Staat und die Sozialkassen finanzierbar zu halten. Die Gegner erblickten (bis heute) in den Neoliberalen das reinkarnierte Böse. Für die Linke war die Agenda 2010 die zweite Niederlage in kurzer Zeit: Zuerst war der Sozialismus untergegangen, jetzt drohte auch noch der Sozialstaat den finsteren Kapitalisten zum Opfer zu fallen. Dass die Agenda 2010, die wir mit unseren Studien und unserer Medienarbeit begleiteten, eine breite Unterstützung in allen gesellschaftlichen Lagern hatte, wurde übersehen.
    Die Agenda-Gegner fürchteten, das Glücksversprechen des umfassenden Wohlfahrtsstaats, zu dem sich Deutschland entwickelt hatte, werde sich nach und nach in Luft auflösen. Das war natürlich Unsinn, erst recht, wenn wir es aus heutiger Perspektive sehen, wo die deutsche Wirtschaft in Europa als Vorbild gilt und wir die niedrigste Arbeitslosigkeit und den höchsten Beschäftigungsstand seit der Wende verzeichnen können. Ein klarer Erfolg der Agenda 2010, den heute nur noch einige Unbelehrbare bestreiten. Aber der Ernst, mit dem Schröder zu Werke ging, schockte doch viele gerade in seinem Lager.
    Den Furor der Gegner erlebten wir einmal hautnah, als eine Gruppe, die sich »Die Überflüssigen« nannte, eine unserer Veranstaltungen stürmte: Die Jungs trugen Gesichtsmasken und wollten verhindern, dass wir dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt einen Preis für gute Standortpolitik überreichten. Wir wollten mit dem Preis die Leistung Milbradts würdigen, die Staatsschulden und die Ausgaben niedrig gehalten zu haben. Damit hatte er mehr für die Arbeitslosen getan als die Schuldenmacher unter den Ländern, wie etwa Berlin. Doch das interessierte »Die Überflüssigen« nicht. Sie waren empört.
    Heute, im Rückblick, verstehe ich ihren Furor besser. Denn an Kampfansagen der Marktradikalen an den Sozialstaat fehlte es damals eben auch nicht. Die Globalisierung wurde von Topmanagern wie dem damaligen Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff oder dem Daimler-Vorsitzenden Jürgen Schrempp genutzt, um Angst zu verbreiten nach der Devise: Wir können auch anders. Middelhoff meinte, er sei nur zufällig Deutscher, Schrempp sagte, mit Deutschland habe er nicht viel am Hut. Was immer das bedeuten sollte, die Botschaft war: Bertelsmann muss sein Geschäft nicht in Deutschland machen. Schrempp, der Weltkonzernplaner, meinte: Autos kann man überall bauen, » anytime anywhere« , also nicht unbedingt in Deutschland. Sie machten den Eindruck, als sei ihnen das Schicksal der Menschen hierzulande egal.
    Die Heuschrecken kommen.
    Die Agenda 2010 geriet zwischen die Fronten im Glaubenskrieg zwischen Marktradikalen und Wohlfahrtsstaat. Die Marktradikalen warfen dem Sozialstaat vor, die Effizienz des Marktes zu schädigen und die Faulheit zu fördern. Aus der Sicht der Kritiker waren die Agenda 2010 und die Konsolidierungspolitik à la Milbradt nur der Anfang eines globalen Raubtierkapitalismus. Die wirklich Mächtigen, etwa die Beteiligungsfonds, fletschten schon die Zähne. SPD -Chef Müntefering warnte 17 vor den »Heuschrecken«, die »keinen Gedanken an die Menschen verschwenden, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter«. 18
    Das Bild von den Heuschrecken, eine Plage Gottes gegen die Ägypter, aktivierte alte Ressentiments. Nun schlug der »Sozialstaat« und vorneweg Müntefering in der Rolle des Retters zurück. Der Glaubenskrieg war selbstverständlich für die Profilierung in Wahlkämpfen bestens geeignet.
    Die Heuschrecken machten es Müntefering leicht, indem sie gar nicht erst freundlich erscheinen wollten: Sie benannten sich etwa nach Cerberus, dem dreiköpfigen antiken Höllenhund, und ihre Bosse ließen sich von der Presse als aggressive »hottest hands« der Wall Street porträtieren. Männer mit großem Appetit. Neuerer, die das Tempo

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